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Route du Soleil - Grenzschlängeln zwischen Italien und der Schweiz

Stefan Loibl, Donnerstag, 13. Dezember 2018

Exklusive Hütten und feine italienische Küche auf der einen, leere Winterräume und verlassene Alpböden auf der anderen Seite. Dazu sieben Tage Sonne satt. Die Route du Soleil verbindet nicht nur die Schweiz mit Italien, die Skidurchquerung ist auch eine einsame Tour zwischen den Welten.

Im grosszügigen Winterraum der Binntalhütte muffelt es gewaltig. Dabei hatten wir bei unserer Ankunft alle Fenster freigeschaufelt und die ausgekühlte Steinhütte ordentlich durchgelüftet. Nun baumeln unsere feuchten Innenschuhe über dem Holzofen wie Duftbäume mit der Geruchsnote «Fussschweiss». Das scheint den Unbekannten nicht zu stören, der vom stockdunklen Gang in den Gastraum stolpert. Mitte 30, langer Bart und einen massiven Rucksack auf den Schultern. «Bist du alleine unterwegs?», frage ich ungläubig, als er gerade beginnt, seine Klamotten über Bänke und Stühle zu hängen. «Ja, seit zwei Wochen bin ich solo am Weg», murmelt er in seinen Vollbart hinein, als sei das so normal wie Brötchen holen. Mit Worten geht er sparsam um. Das mag an den vielen einsamen Tagen im Gebirge liegen. Es benötigt einiges an Hartnäckigkeit, um zu erfahren, was ihn in diesen verlassenen Winkel der Blinnenhorngruppe treibt. Mark heisst er und seit bereits 25 Tagen ist er auf Skiern unterwegs. Aufgebrochen zu seiner Ost-West-Alpendurchquerung ist er in Innsbruck. Mit seinem Kumpel, doch der habe dann abgebrochen. Nun zieht es der Innsbrucker Bergretter eben alleine durch bis Chamonix. Am Abend der dritten Etappe unserer einwöchigen Skidurchquerung kommen wir uns nun wie blutige Anfänger vor.

Dabei hatten es die ersten drei Teilstücke vom Start in Realp bei Andermatt bis zur Binntalhütte teils ganz schön in sich. Einzige Konstante an allen Tagen: strahlender Sonnenschein. Aber das erwartet man ja auch, wenn die Tour «Route Soleil» heisst. Doch der Sonnenweg ist unter Skibergsteigern weit weniger bekannt als die Walliser Haute Route, eine Silvretta-Durchquerung oder die benachbarte Urner Haute Route. Vielleicht, weil die hohen Paradegipfel fehlen. Oder man keinen über die Grenzen hinaus bekannten Gebirgszug durchquert, sondern entlang des Alpenhauptkamms mehrere kleine Berggruppen unter die Felle nimmt. Uns reizte etwas ganz anderes: Insgesamt sechs Mal wechselt man während der sieben Tage in einen anderen Kanton oder gleich ein anderes Land. Am zweiten Tag etwa von Uri zuerst ins Wallis und am Nachmittag hinüber ins Val Bedretto im Tessin. An Tag vier und fünf führt die Tour nach Italien, ehe man auf der sechsten Etappe auf dem Weg zum Simplonpass wieder auf Schweizer Boden zurückkehrt. Genau diese Grenzgänge machen den Reiz der Tour aus und garantieren täglich wechselnde Eindrücke, Begegnungen und auch Preise.

WIE AM STRAND VON RIMINI
Doch von vorne weg: Zugegeben, von der Einsamkeit der Route Soleil spüren wir am ersten Tag nicht viel. Denn nachdem wir den Stangenslalom zur berühmten Rotondohütte hinauf hinter uns gebracht haben, müssen wir auf der Sonnenterrasse nach einem Plätzchen suchen wie am Strand von Rimini zur Ferienzeit. Hier ein Tisch mit Italienern, dort Schweizer Bergführer mit grossen Gruppen und noch zwei Österreicher auf dem Weg zur Urner Haute Route. Das Publikum ist bunt gemischt – Ostern eben, das Highlight der Skihochtouren-Saison. Obwohl die Hütte aus allen Nähten platzt, lässt sich das Frauen-Trio, das die SAC-Hütte bewirtschaftet, nicht aus der Ruhe bringen.

Am nächsten Morgen dauert es nicht lang, bis wir dem Trubel entfliehen können. Als uns am Gipfel des 3068 Meter hohen Gross-Leckihorns die ersten Sonnenstrahlen die Finger wärmen, ist der Hüttenstress längst vergessen. Bevor sich eine grosse Gruppe der Gipfelflanke nähert, schnallen wir die Skier an und queren steil unter der Gipfelpyramide zum Muttenpass hinüber. Drüben am Piz Rotondo pickeln sich zwei Bergsteiger durch die Eisflanke der schattigen Nordwand. Vor uns liegen dagegen knapp 1000 rasante Tiefenmeter Abfahrt durch das malerische Gerental, eine mit Kuppen garnierte Schneise, die von 3000er-Gipfeln flankiert wird. Zum Glück sind wir früh dran. So trägt uns der Harschdeckel bis in den flachen Talboden, wo wir uns die zweite Schicht Sonnencreme ins Gesicht schmieren. Zwei fordernde Übergänge trennen uns noch von der Nufenen-Passstrasse. Und weit und breit keine Spur, die irgendwo hinaufzieht. Beim ersten Aufschwung versinken die Ski tief im durchgeweichten Osthang. An der Nordseite der Gonerlilücke kämpfen wir dagegen mit knietiefem Pulverschnee. Geschafft. Bei der Abfahrt ins Val Bedretto erleichtert uns die von Lawinen überzogene Passstrasse dann die Orientierung. Irgendwo hier, unter der meterhohen Schneedecke, entspringt der Ticino, dem der Kanton seinen Namen verdankt.


Sonnenbaden auf engstem Raum auf der proppenvollen Terrasse der Rotondohütte

FUTURISTISCH MIT FUCHS
Wenig später empfängt uns Hüttenwirtin Carolin auf der Sonnenterrasse der futuristischen Capanna Corno Gries. Wie ein umgedrehter Pyramidenstumpf steht die 2008 renovierte Hütte im Val Corno. Drinnen ist es nicht weniger spektakulär. Die Glasfront ermöglicht im Gastraum einen 360-Grad-Rundumblick, die Zimmer sind nach Planeten benannt. Pünktlich zum Abendessen lugt ein Fuchs durchs Küchenfenster. «Der kommt öfter vorbei, sein Bau befindet sich nicht weit von der Hütte unter einem Stein», erklärt die braungebrannte, zierliche Hausherrin. Für den langen Weg zur Binntalhütte brechen wir am dritten Tag bereits vor Tagesanbruch auf. Elf Kilometer Strecke zeigt die GPS-Uhr am Gipfel des 3374 Meter hohen Blinnenhorns. Was für eine freistehende Aussichtskanzel mit bestem Blick auf das Gletschermeer des Berner Oberlands mit seinen berühmten 4000ern. Zwei Stunden später stehen wir auf dem zweiten 3000er des Tages, dem Hohsandhorn. Wieder bei bestem Sonnenschein. Der sorgt zum einen dafür, dass wir unsere Kurven nun über 1000 Tiefenmeter in feinstem Frühjahrsfirn ziehen dürfen. Und zum anderen, dass sich in unseren Gesichtern bereits deutlich die Konturen der Sonnenbrillen abzeichnen.

STEIL BERGAUF NACH ITALIEN
Auch am vierten Tag brechen wir früh auf. Während Mark in der Binntalhütte noch seine Ausrüstung sortiert, marschieren wir bereits steil bergauf Richtung Italien. Auf einer Variante zur klassischen Route Soleil. Denn so können wir noch die Felsnadel des Grossen Schinhorns mitnehmen und die lange Traverse über den Lago die Devero verkürzen, einen grossen Stausee auf der italienischen Seite. Der Plan zahlt sich aus. Zwar kämpfen wir uns entlang eines Latschen-Gürtels durch knietiefen Schneematsch dem Ufer entgegen. Aber am Rand des Sees türmen sich die Eisschollen und erste Wasserlöcher durchziehen die Schneedecke des Stausees. Wir betreten die fragile Eisschicht nicht, tragen die Skier lieber auf einem Wanderweg am Ufer entlang und schlürfen wenig später einen Cappuccino am Rifugio Castiglioni.

Dort treffen wir beim Abendessen auch Einzelgänger Mark wieder. Ihm ist auf dem Weg hierher die Bindung gebrochen. Einmal längs über den Stausee marschierte er trotzdem. Bei feinsten Rigatoni al forno und einer Flasche Rotwein trübt der Hüttenwirt unsere euphorische Stimmung: «Im Winterraum des Rifugio Arona funktioniert der Ofen nicht.» Mist, Planänderung.

SCHÖN UND SCHMERZHAFT
Der kaputte Ofen beschert uns eine schmerzhafte Hammeretappe. 25 Kilometer und 2300 Höhenmeter sind es bis zum Winterraum der Monte-Leone-Hütte, die wir eigentlich erst einen Tag später auf dem Weg zum Leone-Gipfel passieren wollten. Einmal längs durch den Nationalpark Alpe Veglia e Alpe Devero. Landschaftlich eine Wucht. An vielen unbekannten Gipfeln der Helsenhorngruppe vorbei, von der Alpe Devero zur Alpe Veglia, die wie grüne Inseln in der einsamen Hochgebirgslandschaft liegen. Konditionell aber extrem zehrend. So erreichen wir die Hütte erst, als wir bereits lange Schatten werfen. Andere Tourengeher treffen wir den ganzen Tag über nicht. Auch nicht Mark, der erst seine Bindung reparieren wollte und sowieso lieber ohne Begleitung unterwegs ist.

Wommm. Schiii, schiii. Wieder donnert der Sturm einen Fensterladen gegen die Hüttenwand. Obwohl die Sonne vom Himmel lacht, ist es vor der Hüttentür fast nicht auszuhalten. Die Böen haben sich über Nacht zu einem Föhnsturm aufgebauscht. Es bläst so stark, dass selbst der Gang zum Plumpsklo im Nebengebäude zur Mutprobe wird. Am Westgrat des 3553 Metern hohen Monte Leone, unserem eigentlichen Tagesziel, wirbeln riesige Schneefahnen. Es ist sinnlos. Wir schwingen hinunter zum Simplonpass. Von dort nehmen wir den Postbus Richtung Italien und gönnen uns im Grenzdorf Iselle ein wenig «Dolce Vita»: Pasta, Carne, Caffè.


Rasante Tiefenmeter: Vom Grossen Leckihorn geht es über den Muttenpass ins malerische Gerental.

TRAGEPASSAGE ZUM FINALE
Die letzte Etappe beginnt mit einem Lunchpaket-Frühstück in der Ostrinne des Galehorns. Danach eine kurze Abfahrt zum Sirwoltesattel, ehe wir uns die letzten Aufstiegsmeter zur Simelilücke hinaufschwitzen. Nur das Finale ins Saastal haben wir uns anders vorgestellt. Statt entspannt auf Ski gen Tal zu schwingen, zwingen uns die aperen Hänge früh zum Tragen. Es ist eine wahre Wohltat, als wir 900 Höhenmeter später die aufgeweichten und geschundenen Füsse in den Dorfbrunnen von Saas-Balen strecken. Und Alpendurchquerer Mark? Den hat die Reparatur seiner Bindung einen Tag zurückgeworfen. Doch der Wetterbericht bleibt unverändert. So kann auch er seinen Abschnitt der Route Soleil, wie wir, abhaken: mit sieben Tagen Sonnenschein.

INFOS
Beste Zeit: Anfang April bis Ende Mai

Karten: Schweizer Landeskarten 1:25 000, Blatt 1251 (Val Bedretto), Blatt 1270 (Binntal), Blatt 1290 (Helsenhorn), Blatt 1289 (Brig), Blatt 1309 (Simplon)

Startort: 6491 Realp, 1538 m, Parkplatz in Ortsmitte beim Bahnhof

Zielort: 3908 Saas Balen, 1483 m, Postbus-Haltestelle an der Haupstrasse

Rückreise: Ab Saas Balen mit dem Postbus bis Visp Bahnhof. Von dort mit der Bahn nach Realp.

Unterkünfte:
Rotondohütte, 2571 m, +41 418871616, www.rotondohuette.ch
Capanna Corno Gries, 2338 m, +41 91 868 11 29, www.corno-gries.ch
Binntalhütte, 2275 m, +41 27 971 47 97, www.cas-delemont.ch/index.php?pg=67
Rifugio Enrico Castiglioni, 1640 m, +39 333 3424904, www.rifugiocastiglioni.it
Rifugio Città di Arona, 1750 m, +39 339 4046395, www.rifugiocaiarona.com
Monte-Leone-Hütte, 2848 m, +41 79 934 97 32, www.cas-sommartel.ch/monte-leone
Simplon-Hospiz, 2000 m, +41 27 979 13 22, https://gsbernard.ch/simplon/hospiz/

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