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«Olympia ist der Traum aller Athletinnen und Athleten»

Nora Scheel, Mittwoch, 18. April 2018

Klettern wird 2020 olympisch. Seither spaltet das Thema die Kletterszene. Andrea Kümin ist eine von neun Schweizer Athletinnen und Athleten, die vom Schweizer Alpenclub SAC für Olympia trainiert werden. Ein Interview über ihre olympischen Träume, ihre sportlichen Ziele und den ganz normalen Alltag.

Das Internationale Olympische Komitee hat entschieden, Klettern bei den Sommerspielen 2020 in Tokyo temporär als Disziplin aufzunehmen. Die vorläufige Aufnahme bedeutet allerdings, dass nur ein Medaillensatz zur Verfügung steht. Klettern besteht aus den drei sehr unterschiedlichen Disziplinen Lead (Klettern am Seil), Bouldern (Klettern auf Absprunghöhe) und Speed (Klettern auf Zeit). Um keine der Disziplinen zu bevorzugen, wurde beschlossen, dass jede Athletin und jeder Athlet in allen drei Disziplinen starten muss. Die Schlussrangliste wird durch eine Multiplikation der drei Ränge berechnet. 

Andrea Kümin ist eine der Anwärterinnen für einen Schweizer Startplatz an Olympia. Die 20-jährige Zürcherin ist seit 2011 im Schweizer Nationalteam und wurde 2017 vom SAC für den „Olympia-Pool“ nominiert. Ein Interview über ihre olympischen Träume, ihre sportlichen Ziele und den ganz normalen Alltag.

Andrea, du hast 2016 die Jugend-Europameisterschaft im kombinierten Ranking gewonnen. 2017 bist du erstmals in der Kategorie Elite gestartet und hast ebenfalls gute Resultate erzielt. Was sind deine Ziele für 2018?
Im Hinblick auf Olympia ist 2018 eher ein Trainingsjahr, da die Selektionswettkämpfe erst 2019 stattfinden. Wahrscheinlich werde ich dieses Jahr nicht mehr ganz so viele Wettkämpfe bestreiten wie 2017. Saison-Höhepunkt wird die WM in Innsbruck im September sein. Dafür muss ich mich allerdings, abgesehen vom Bouldern, noch qualifizieren.

Als gewöhnliche Sportlerin kann man sich das Training einer Spitzenathletin kaum vorstellen. Wie sieht dein Trainingsalltag aus?
Das ist jede Woche anders. Gewöhnlich trainiere ich aber zwischen 20 und 25 Stunden pro Woche. Seit ich nicht mehr zur Schule gehe, mache ich Split-Trainings, das heisst, ich trainiere morgens und abends. Meistens trainiere ich zwei bis drei Tage hintereinander und mache dann einen Tag Pause. An diesem Tag gehe ich Joggen, Dehne und mache regenerative Übungen. Nichts mache ich eigentlich nie (lacht). 

Wo trainierst du am liebsten?
Am liebsten trainiere ich im neuen SAC-Leistungszentrum in Biel sowie in der Boulderhalle Minimum in Zürich. Daneben trainiere ich oft zu Hause und im Sportzentrum Hirslen in Bülach. Dort konnte ich mir kleine Trainingswände einrichten.

Du wirst hauptsächlich von deinem Vater trainiert. Funktioniert das gut?
Nach der Primarschule habe ich mich für die gewöhnliche Kantonsschule in Bülach entschieden, anstatt das Sportgymnasium Rämibühl zu besuchen. Da meine Kolleginnen und Kollegen vom Sportgymnasium schon am Nachmittag Training hatten, konnte ich nicht mit dem Regiokader trainieren. Seither hat mich mein Dad trainiert. Da er Sportlehrer ist, versteht er ohnehin viel von der Trainingslehre. Er hat meine Trainingspläne geschrieben, mit mir trainiert und mich gesichert. Ohne ihn wäre ich niemals so weit gekommen, wie ich jetzt bin. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis.

Also ist er nicht der Vater, der seine Tochter zu Spitzenleistungen antreibt?
(Lacht) Nein gar nicht, im Gegenteil: Mein Dad musste mich immer eher bremsen. 

Neben dem Leistungssport studierst du Psychologie im Fernstudium. Bekommst du das gut unter einen Hut?
Die Karriereberatung von Swiss Olympic hat mich auf das Angebot der FernUni aufmerksam gemacht. Die Studiengänge sind gemäss Bologna-Richtlinien aufgebaut und der Abschluss anerkannt. Wir haben nur fünf Tage pro Semester gemeinsame Veranstaltungen, alles andere läuft online. Das Studium ist dennoch sehr gut strukturiert. Wir erhalten jede Woche einen Wochenplan und müssen uns nicht alles in Eigendisziplin erarbeiten. Es gibt mir aber die Möglichkeit, meine Zeit frei einzuteilen. Ich denke, neben dem Spitzensport ist es eine sehr gute Lösung. Der einzige Nachteil ist, dass ich meine Mitstudentinnen und –studenten kaum sehe. Allerdings wäre das auch so, wenn ich an eine gewöhnliche Uni ginge. Neben dem Klettern bleibt nicht mehr viel Zeit übrig.

Klettern ist nicht der richtige Sport, um reich zu werden. Wie sieht deine finanzielle Unterstützung aus von Sponsoren, Stiftungen und Verbänden?
Die grösste Unterstützung erhalte ich von der Schweizer Sporthilfe. Das ist eine Stiftung, die Athletinnen und Athleten der Swiss Olympic angeschlossenen Verbände unterstützt. Seit Klettern olympisch ist, haben sich die Förderbeiträge der Sporthilfe sehr stark erhöht und betragen jetzt bis zu 36‘000 Franken. Dadurch war ich letztes Jahr relativ unabhängig. Allerdings muss man dafür jedes Jahr die entsprechenden Leistungen erbringen: Mindestens Top-8 an der WM, respektive Top-6 an der EM im kombinierten Ranking (das heisst Lead, Bouldern und Speed zusammen). Neben dieser finanziellen Unterstützung versorgen mich Mammut, Bächli, Friction Labs, Scarpa und NeproSport mit dem nötigen Material für mein Training.

2020 wird Klettern in Tokyo an den Olympischen Sommerspielen dabei sein. Hast du dich gefreut, als der Entscheid bekannt wurde?
Olympia ist wohl der Traum aller Athletinnen und Athleten. Als Kind habe ich immer die olympischen Spiele geschaut. Dass meine Sportart selbst einmal olympisch sein wird und ich vielleicht sogar daran teilnehmen kann, hätte ich mir nie erträumt. Daher habe ich mich schon sehr über den Entscheid gefreut. Aber die Selektion wird sicher hart. Es gibt nur 20 Startplätze, von denen bereits sieben fix für die anderen Kontinente reserviert sind. Bleiben also noch 13 mögliche Plätze für Europa. Man ist also schon sehr gut, wenn man überhaupt starten kann.

Olympia polarisiert. Einige erwarten stärkere finanzielle Unterstützung für Profikletterer, andere befürchten eine Kommerzialisierung des Sports. Was denkst du dazu?
Klettern ist bereits in den letzten Jahren viel populärer geworden. Als ich in der Primarschule war, wussten die Leute kaum, was Klettern überhaupt ist. Wenn ich von meinem Hobby erzählt habe, haben sie mich gefragt, ob ich auf Bäume klettere (lacht). Heute ist das anders. Es entstehen immer mehr Kletterhallen und damit auch Trainingsmöglichkeiten. Ich finde das cool. Die zusätzliche finanzielle Unterstützung durch Olympia ist für mich persönlich eine sehr grosse Erleichterung.

Der SAC hat sechs Athletinnen und drei Athleten für den sogenannten „Olympia-Pool“ nominiert. Welche Unterstützung erhält ihr vom Verband?
Wir erhalten so viel Unterstützung, wie noch nie. In Biel wurde vor kurzem ein verbandseigenes Leistungszentrum eröffnet, wo wir die Möglichkeit haben, wettkampfspezifisch zu trainieren. Unsere Olympia-Team-Trainer Kevin Hemund und Pirmin Scheuber sind sehr motiviert. Dadurch haben wir einen super Team-Geist.

Bei Olympia muss jeder Athlet und jede Athletin bei allen drei Disziplinen antreten. Die Reaktionen darauf waren teilweise sehr negativ. Einige sagten, das sei, wie wenn man Sprint, Hürdenlauf und Marathon zusammenfasse. Wie siehst du das?
Die Kritik ist sicher berechtigt. Andererseits verstehe ich den Entscheid auch. Es gibt nur einen Medaillensatz und es wäre unfair gewesen, eine Disziplin zu bevorzugen. Persönlich habe ich entschieden, die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist und das Beste daraus zu machen. Mir machen ohnehin alle drei Disziplinen Spass.

Kann man denn alle drei Disziplinen gleichzeitig trainieren?
Ich kann nur für mich persönlich sprechen. Mich bringen alle drei Disziplinen weiter. Vom Bouldern erhältst du das Dynamische und das Koordinative, vom Lead die Ausdauer und vom Speed das Explosive. Daneben ist es natürlich wichtig, die Trainingspläne so zu schreiben, dass sich die verschiedenen Reize nicht beissen: Am Anfang eines Trainingsblocks trainiere ich jeweils Kraft und Dynamik, vor dem Pausentag dagegen Ausdauer. Speed trainiere ich zurzeit noch nicht systematisch - meist mache ich ein bis zwei Mal pro Woche kurze Einheiten vor dem Training.

Du erwartest in der kommenden Wettkampfsaison also keinen Nachteil gegenüber Athletinnen und Athleten, die sich auf eine Disziplin konzentrieren können?
Nein, das denke ich nicht. Die Boulder- und Leadwettkämpfe finden zeitlich ohnehin versetzt statt. Das ermöglicht es, zunächst den Fokus aufs Bouldern zu legen und erst im Frühling, wenn die Boulderwettkämpfe langsam fertig sind, mit dem Lead-Training zu beginnen.

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Foto: David Tomlinson

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