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«Viel riskanter als Bergsteigen ist, tot zu sein, obwohl man lebt.»

Stephanie Geiger, Donnerstag, 17. Juni 2021

Simone Moro ist ein Alpinist, wie es nur wenige gibt. Der Italiener ist ein exzellenter Kletterer (8b) und verbucht an vier Achttausendern (Shisha Pangma, Makalu, Gasherbrum II und Nanga Parbat) die erste Winterbesteigung für sich. 60 Expeditionen hat er auf der ganzen Welt unternommen, und weitere sollen folgen. Denn für’s Aufhören hat der 53-Jährige noch zu viele Träume.

Simone Moro ist ein Alpinist, wie es nur wenige gibt. Der Italiener ist ein exzellenter Kletterer (8b) und verbucht an vier Achttausendern (Shisha Pangma, Makalu, Gasherbrum II und Nanga Parbat) die erste Winterbesteigung für sich. 60 Expeditionen hat er auf der ganzen Welt unternommen, und weitere sollen folgen. Denn für’s Aufhören hat der 53-Jährige noch zu viele Träume.

Nach den Corona-Beschränkungen der vergangenen Monate steht hoffentlich ein grandioser Sommer vor der Tür, der uns wieder alle Möglichkeiten eröffnet. Freust du dich darauf genauso wie wir?
Klar, ich mag den Sommer. Zum Felsklettern, zum Beispiel in den Dolomiten, ist das eine wirklich tolle Saison. Auch sonst hat es im Sommer in den Bergen immer eine gute Temperatur. Aber natürlich ist der Sommer nicht die Jahreszeit, die ich bevorzuge.

Unweigerlich denkt man beim Namen Simone Moro an den Winter. Wie kam es eigentlich zu dieser Leidenschaft für das Winterbergsteigen?
Das liegt an meiner Persönlichkeitsstruktur. Wiederholungen zu machen, das interessiert mich nicht. Dafür habe ich keine Motivation. Das hat mich auch am Sportklettern gelangweilt. Die 14 Achttausender zu wiederholen und zu sammeln? So viel Geld und Risiko für etwas aufwenden, was schon gemacht wurde? Das inspiriert mich einfach nicht. Von Reinhold Messner, einem meiner Idole, habe ich gelernt, dass man die Geschichte des Alpinismus kennen muss, um etwas Neues zu finden. Und so stiess ich schon in jungen Jahren auf die Polen, die für sich entschieden haben, Achttausender im Winter zu besteigen. Im Februar 1980 erreichten sie den Gipfel des Mount Everest. Da war ich gerade einmal zwölf Jahre alt. Diese Epoche endete 1988 mit dem Lhotse, der der siebte Winter-Achttausender war. Meine erste Expedition führte mich 1992 an den Mount Everest. Und schon meine zweite Expedition war eine Winterexpedition an den Aconcagua. 

Was unterscheidet denn Höhenbergsteigen im Winter von dem im Sommer?
Der Winter ist kälter. Klar. Das ist natürlich eine Binsenweisheit. Der Winter ist nicht nur eine andere Jahreszeit, der Winter ist auch eine andere Welt. Im Winter bist du im Basislager isoliert. Keine anderen Gruppen, keine Trekker, keine Träger, keine Helikopter. Es gibt kein fliessendes Wasser. Schnee und Eis müssen geschmolzen werden. Und noch ein wichtiger Unterschied: Im Winter wartet man viele Wochen einfach nur. Du fühlst dich gut, der Himmel ist blau, das Wetter ist herrlich, es herrscht aber ein so starker Sturm, auch im Basislager, dass du den ganzen Winter über vielleicht nur ein einziges Wetterfenster für einen Gipfelversuch hast.

Aber ganz so abgeschieden wie noch bei deinen ersten Expeditionen bist auch du heute im Winter nicht mehr.
Das stimmt. Selbst wenn ich heute sagen würde, ich möchte nichts nach aussen geben, gibt es irgendwo jemanden, der mich erkennt, ein Selfie mit mir macht und das dann postet. Schon weiss es die ganze Welt. Aber nicht nur das: Am Manaslu musste ich im vergangenen Winter nicht einmal mehr Technik mitnehmen, um mit der Welt verbunden zu sein. Das Mobilfunknetz vom letzten Dorf reicht bis ins Basislager.

Die moderne Technik erleichtert auch vieles. Du kannst selbst schauen, wie das Wetter wird, was ja im Winter ganz entscheidend ist.
Da vertraue ich aber weiterhin auf Karl Gabl in Innsbruck. Aber natürlich ist auch das einfacher geworden. Karl schickt mir seine Prognosen jetzt per WhatsApp, früher haben wir telefoniert.

Und da erfährst du dann, dass auf Gipfelniveau mit minus 40 Grad zu rechnen ist. Kann man sich auf solche Temperaturen eigentlich vorbereiten?
Du kannst die Kälte nicht trainieren. Du kannst dich nur daran gewöhnen. Ich mache es, indem ich meist nur ein T-Shirt oder ein leichtes Fleece anhabe. Ich gehe aber nicht nackt joggen und springe auch nicht in kalte Flüsse, wenn du das meinst. Ich habe mit der Kälte schlichtweg kein Problem. Ich leide da auch nicht so sehr. 

Und wie bereitest du dich konditionell auf deine Expeditionen vor?
Ich bin grundsätzlich jemand, der fit sein will. Und deshalb habe ich nie aufgehört zu trainieren. Ich laufe jeden Tag zwischen 15 und 20 Kilometer und mache jeden Tag Krafttraining, Klimmzüge und Liegestütz. Deshalb habe ich auch kein Problem, schwere Rucksäcke zu tragen.


Moro (re.) mit Muhammad Ali Sadpara auf dem Nanga Parbat, bei dessen Wintererstbesteigung im Jahr 2016. Sadpara starb 2021 beim Versuch, den K2 im Winter zu besteigen.


Und wie wichtig ist der Kopf bei deinen Unternehmungen? Höhenbergsteigen ist als solches schon eine besondere Herausforderung. Im Winter wird das durch die äusseren Umstände noch einmal potenziert?
Der Kopf ist der Schlüssel. Ich habe erfolgreiche Höhenbergsteiger erlebt, die überhaupt nicht damit klargekommen sind, im Basislager zum Nichtstun verdammt zu sein. Ich dagegen kann gut damit umgehen. In diesem Winter am Manaslu ist es mir sogar passiert, dass ich anderthalb Monate mit einem einzigen Musikstück gelebt habe, weil ich nur das eine auf meinem Smartphone abgespeichert hatte. Mir war das nicht aufgefallen, weil ich sonst immer Spotify nutze. Es ging auch mit nur einem Song. 

Verrätst du uns, welches Stück?
Das war «Four Dimensions» von Ludovico Enaudi. Aber was ich sagen wollte: Ich kann gut mit mir allein sein. Ich brauche nicht viele Leute um mich herum. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb ich 19 Winterexpeditionen gemacht habe, so viele wie kein anderer. 

Du warst oft mit Bergsteigern aus dem früheren Ostblock unterwegs wie Anatoli Boukrejew, Piotr Morawski, Denis Urubko. Hat das Spuren hinterlassen?
Zweifellos. Das sind andere Leute. Sie sind einfach gewohnt, mehr zu leiden. Besonders ausserhalb der Städte lebten die zumindest früher ein ganz anderes, ursprüngliches Leben. Die hatten da einen beheizten Raum im Haus und sonst kalte Zimmer. Damit sind die aufgewachsen. Am Berg kommen sie mit einem Sandwich pro Tag aus. Und vor allem: Sie können Lösungen finden. Wenn bei uns in Europa ein Rucksack kaputt ist, dann kauft man sich einen neuen. Der Russe überlegt, wie er den reparieren kann. Im Winter musst du immer improvisieren. Das können bei uns nur wenige. 

Mitte Januar waren es dann aber keine Polen oder Russen, es war ein Nepali-Team, das am K2 Geschichte geschrieben hat und dem die Wintererstbesteigung des mit 8611 Metern zweithöchsten Berges der Welt gelang.
Das hat mich wirklich sehr gefreut. Ich bin so glücklich, dass sie es geschafft haben. Nepali haben in der Geschichte des Winterbergsteigens gefehlt. Dieser Erfolg steht ihnen zu und sie haben ihn sich auch verdient. 

Simone Moro und Nepal, da denkt man unweigerlich an das Frühjahr 2013.
Ja, das war nicht so schön. 

Du hattest in gewisser Weise mit einen Anteil daran, dass Ueli Steck 2013 am Mount Everest fast gesteinigt worden wäre. In seinem Buch «Der nächste Schritt» erzählt Ueli über die fatalen Vorkommnisse in der Lhotse-Flanke, wo ihr mit Einheimischen aneinandergeraten seid. Ueli schrieb von «Todes-
ängsten», die lange nachwirkten.
Wir waren in Lebensgefahr. Ueli war wirklich schockiert. Ich hatte das nach 24 Stunden vergessen. Am Tag nach den Vorfällen habe ich im Basislager eine Friedenszeremonie gemacht. Ich habe mich erklärt und beteuert, dass ich nicht gegen die Sherpas bin. Für mich ist das vorbei und es spricht auch niemand mehr darüber. Diese Ereignisse dürfen nicht symbolisch dafür gesehen werden, wie die Sherpas sich angeblich verändert haben. Es waren nur ein paar Sherpas, die nicht akzeptieren wollten, dass auch wir dort unterwegs waren.

Vor diesem Vorfall warst du ein grosser Wohltäter für Nepal. Du hast 2013 einen Helikopter nach Nepal gebracht, um nicht nur Bergsteiger zu retten, sondern um vor allem auch den Einheimischen aus den entlegenen Regionen schnell medizinische Versorgung zukommen zu lassen.
Das habe ich dann auch nach diesen Vorfällen am Everest gemacht. Ich bin einfach in Nepal geblieben und mit dem Heli geflogen, habe Sherpas gerettet und sogar einen, der mich ein paar Tage vorher noch geohrfeigt hat. 2017 stürzte dann mein Helikopter ab. Und jetzt habe ich ein Unternehmen mit Investoren aus Nepal gegründet. Da hat sich echt viel getan: Als ich 2010 dort zum ersten Mal geflogen bin, gab es zwei Hubschrauber. Mittlerweile sind es 14 Heli-Unternehmen.

Wir haben viel über deine Erfolge gesprochen. Aber wie bist du eigentlich zum Bergsteigen gekommen?
Ursprünglich war ich Kletterer. Mit Klettern begonnen habe ich als 13-, 14-Jähriger. Ich stamme ja aus Bergamo. Die Ferien verbrachten wir immer in den Dolomiten und da habe ich auch schon vorher mit meinem Vater und meinem Bruder einige Klettersteige gemacht. Sonst waren wir zum Pilzesammeln am Berg. Dann ging das mit dem Klettern los, dann kam das Eisklettern dazu, Monte Rosa, Montblanc, Matterhorn. Und 1992 kam dann die Einladung zur Everest-Expedition. Das war ein Desaster. Ich bin gerannt, war aber nicht akklimatisiert. Die Folge war ein Hirnödem. Ich habe bei dieser Expedition trotzdem entschieden, Profibergsteiger zu werden. 


Seit 2009 ist Moro Hubschrauberpilot, er arbeitete u .a. für die Fluggesellschaft Fishtail Air in Nepal bei Transporten und Rettungseinsätzen.


Du hast zwei Kinder. Gibst du ein Stück deiner Bergleidenschaft an deine Tochter und deinen Sohn weiter?
Martina ist mittlerweile 22 Jahre alt. Sie bevorzugt eher Ballett. Und Jonas, er ist jetzt elf, ist im Moment noch ein Allround-Sportler. Er macht viel Eishockey, findet Street-Trial ganz grossartig, macht aber auch Skibergsteigen. Er soll selbst entscheiden. Ich hätte aber nichts dagegen, wenn er wie sein Vater auch Bergsteiger werden würde. 

Es gibt ja viele namhafte Bergsteiger, die als Väter sagen, sie seien froh, dass ihre Kinder nicht in ihre Fussstapfen getreten sind.
Ich würde es ihm nicht verbieten. Viel riskanter als Bergsteigen finde ich, tot zu sein, obwohl man lebt. Die Gefahr ist nicht, ein paar Jahre früher zu sterben. Viel gefährlicher ist es, sein Leben zu verpassen. Es geht darum, glücklich zu sein. Damit meine ich nicht, zu lächeln, sondern ich meine echte Glückseligkeit. Das will ich Jonas lehren. 

Das ist während Corona vielleicht nicht ganz so einfach.
In Südtirol, wo wir leben, war das zeitweise wirklich schwierig. Da waren die Regeln schon sehr streng. Deshalb habe ich im vergangenen Jahr mehrere Tausend Euro auf den Tisch gelegt und gesagt: Das Geld ist dafür da, um die Strafe zu bezahlen, wenn wir die Lockdown-Regeln brechen. Bisher wurden wir aber nicht bestraft. Als Sportler darf ich natürlich raus. Und Jonas rennt so schnell, den würden sie eh nicht schnappen.

Von den Carabinieri ertappt zu werden ist natürlich ein anderes Risiko als das, mit dem du am Berg konfrontiert bist. 1997 wurdest du an der Annapurna 800 Meter von einer Lawine mitgerissen, Anatoli Bukrejew und Dmitri Sobolew starben. Nach der Wintererstbesteigung des Gasherbrum II erfasste euch kurz vor dem Basislager ebenfalls eine Lawine. Und 2020 bist du an den Gasherbrums in eine Gletscherspalte gestürzt. Du hattest schon auch richtig oft Glück.
Es gibt Risiken, zweifellos. Aber man kann die Risiken reduzieren. Und dafür muss man sich immer bewusst sein, dass man Fehler machen kann. Wenn ich auch nur den leisesten Zweifel habe, dann steige ich nicht weiter auf, sondern kehre um. Nur deshalb bin ich überhaupt 53 Jahre alt geworden und habe es trotzdem geschafft, vier historische Winterbesteigungen durchzuführen. In diesem Winter am Manaslu bin ich eine Woche vor Alex Txikon abgereist, weil ich Karl Gabl geglaubt habe, der kein gutes Wetter prognostiziert hat. Auch wegen dieses Vertrauens habe ich immer überlebt. 

Bei sechzig Expeditionen kommen viele herausragende bergsteigerische Leistungen zusammen. Gibt es etwas, worauf du besonders stolz bist?
Da gibt es tatsächlich zwei Expeditionen: Die eine Expedition führte mich 2008 nach Pakistan zum Beka Brakai Chhok, nicht ganz siebentausend Meter hoch. Da gelang mir mit Hervé Barmasse die Erstbesteigung im reinen Alpinstil. Ohne Zelt und Schlafsack. 42 Stunden Nonstop-Climb. Und die andere Expedition war ein halbes Jahr später die Wintererstbesteigung des Makalu, die uns in einem extrem leichten Stil gelang. Denis Urubko und ich hatten nur einen Koch für das Basislager dabei, sonst war da niemand. Wir hatten nur ein Hochlager, das wir eingerichtet hatten. Und wir waren sehr schnell. Das war Alpinismus in Reinform.

Denis Urubko ist sechs Jahre jünger als du. Er hat schon vor mehr als einem Jahr seinen Rücktritt vom Höhenbergsteigen erklärt und erfindet sich gerade neu. Du bist mittlerweile 53 Jahre alt. Ist es da auch für dich langsam Zeit, ans Aufhören zu denken?
Natürlich denke ich an das Ende. Wenn ich Ende sage, meine ich nicht, dass ich eines Tages am Berg sterbe. Bitte nicht falsch verstehen. Ich versuche genau wahrzunehmen, wie motiviert ich bin und wie leistungsstark. Drei oder vier Jahre werden es wohl noch werden, maximal fünf. Ich habe einfach noch sehr viele Träume. Und wenn man bedenkt, dass ich nächstes Jahr schon 30 Jahre auf Expedition unterwegs sein werde, dann ist es schon aussergewöhnlich, dass ich noch immer so motiviert bin.

Normalerweise bist du immer etwas zurückhaltend mit der Bekanntgabe deiner Pläne. Für den nächsten Winter steht aber schon fest, dass du wieder an den Manaslu fahren wirst.
Ich war mittlerweile dreimal im Winter an dem Berg. Und ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass die letzten Dezember- und die ersten Januartage am Manaslu die besten sind. Deshalb werde ich recht früh nach Nepal reisen, mich dort akklimatisieren und dann schon am 21. Dezember im Basislager sein. An dem Tag beginnt der Winter und das zählt dann als Winterexpedition. 

Aber bevor es in nicht einmal einem halben Jahr nach Nepal geht, wie verbringt ein Winterbergsteiger den Sommer?
Um ganz ehrlich zu sein: Ich bin so gar nicht der Meer-Typ. Ich möchte in diesem Sommer mit Simon Messner einen Film über Gino Soldà drehen. Soldà hat viele Erstbegehungen in den Dolomiten gemacht und war 1954 bei der italienischen K2-Expedition dabei. In dem Film wird es um die vier schwierigsten Routen von Soldà in den Dolomiten gehen. Und ich werde viel mit dem Hubschrauber fliegen, da habe ich immer Schmetterlinge im Bauch. Mein Helikopter-Unternehmen hat drei Hubschrauber an drei Standorten: in Bergamo, in der Toskana und auf Sizilien. Das ist quasi meine Vorbereitung auf den bergsteigerischen Ruhestand.


Steckbrief Simone MoroSimone Moro wird am 27. Oktober 1967 in Bergamo geboren. Die ersten Gipfelziele findet er in der Presanella und den Dolomiten, 1985 tritt er der italienischen Kletternationalmannschaft bei, deren Trainer er später wird. Er promoviert in Sportwissenschaften über «Alpinismus in extremen Höhen» (2003), ein Thema, das er seit 1992 auch aus der Praxis kennt. Am Fitz Roy trifft er 1996 Anatoli Boukrejew, mit dem die lang anhaltende Verbindung Moros zum russischen Alpinismus beginnt. Sein grosses Ziel, die polnische Ära des Winterbergsteigens aus den 1980er-Jahren neu zu begründen, gelingt ihm mit insgesamt vier 8000er-Erstbesteigungen zwischen dem 21. Dezember und dem 21. März.

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