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Markenportrait: Lowa

Thomas Ebert, Donnerstag, 13. Dezember 2018

«Simply more», einfach mehr – so lautet der Slogan von einem der grössten Bergschuhherstellern Europas. Ein Firmenbesuch in Oberbayern zeigt, dass man diesen Leitspruch bei Lowa durchaus wörtlich nimmt.

Marktführer aus der Provinz sind eher selten. Noch seltener ist, wenn sich eine weltweit erfolgreiche Firma mitsamt ihren 250 Mitarbeitern und Produktionshallen derart unauffällig in ein 3000- Seelen-Nest einfügt, wie es Lowa im oberbayerischen Jetzendorf tut. «Lowa City», wie das Ortsschild an der Pforte augenzwinkernd ankündigt, liegt nicht in einem Gewerbegebiet am Ortsrand, sondern mitten im alten Dorfkern. Links der Friseursalon Bernhard, rechts die Bäckerei Kloiber, vom Kirchhügel wirft St. Johannes seinen Schatten auf die Firma. Hier sitzt der Bergschuh- Champion, der im vergangenen Jahr 2,8 Millionen Paar Schuhe verkaufte.

Vierzig Kilometer nördlich von München ist selbst der feiste Speckgürtel der bayerischen Landeshauptstadt längst zu Ende. Jetzendorf liegt weder im S-Bahn- Bereich noch besonders nah an der Autobahn. Nicht gerade ein Logistik-Traum, zumal das Firmengelände inzwischen an seine Grenzen stösst. Und trotzdem hält Lowa am Standort fest – seit fast 100 Jahren schon. 1923 gründete der Schuhmachersohn Lorenz Wagner hier seine eigene Schuhfabrik, benannt nach seinen Initialen. Wie übrigens auch sein Bruder Hans, dessen zwei Jahre zuvor gegründete Firma Hanwag im benachbarten Vierkirchen auch heute noch Schuhe fertigt.

MADE IN GERMANY
Genaue Zahlen gibt es zwar nicht. Gut möglich aber, dass zu Lorenz Wagners Zeiten nicht einmal so viel Neuware produziert wurde, wie heute repariert wird. Ein Aushang vor der Serviceabteilung weist aufs Paar genau die Zahl der laufenden Reparaturen aus: In den letzten vier Tagen erledigte das Team 290 Paar Neubesohlungen. Im ganzen Jahr 2017 standen 38'000 Reparaturen an. Von den 18 Mitarbeitern im Service sind alleine vier über Headsets nahezu ununterbrochen im telefonischen Kundenkontakt, wie bei einer Spendengala im Fernsehen: Reklamationen, Beratung, Reparaturen. Neben allerlei Test- und Prüfgeräten mit so schönen Namen wie «Zwickometer» stehen in Jetzendorf auch zwei Zentrifugen bereit, um in einem einstündigen Schleudergang zu verifizieren, ob (und wenn ja, wo) reklamierte Schuhe wirklich undicht sind.

Beim Blick auf die Reparaturware wird klar, dass viele Menschen eine wahrhaft emotionale Bindung zu ihren Schuhen aufbauen können. 20, 25 Jahre alte oder gar noch betagtere Modelle warten da auf ihre Frischzellenkur, in teils abenteuerlichem Zustand. Trotzdem: «Zurückgewiesen wird eigentlich nichts. Ausser, der Schaft ist wirklich total zerbröselt», sagt Anke Stärk von Lowa, die beim Rundgang durch die Produktionshalle führt. Tatsächlich wird in Jetzendorf nicht nur repariert, sondern auch produziert, und zwar nicht nur in Form einer Endmontage von Schaft, Sohle und Schnürsenkel. Am deutschen Standort fertigt Lowa die robusteren, wiederbesohlbaren Modelle in gezwickter Machart. Die leichteren, gestrobelten Schuhe entstehen in der Slowakei. Jedes der bis zu 200 Teile pro Schuh stammt dabei aus Europa, von der Öse bis zum Leder. Letzteres wird übrigens zu 70 Prozent von der Gerberei Heinen aus Norddeutschland zugeliefert, die sich mit dem besonders ökologisch weiterverarbeiteten Terracare-Leder einen Namen gemacht hat. Im Erdgeschoss der Produktionshalle surren die Nähmaschinen und klappern die Stanzen. Aus Hunderten kleiner Leder- oder Synthetikstreifen, wasserdichtem Innenfutter und Metallösen entstehen hier in Handarbeit die Schuhschäfte. Der Zutritt zur Entwicklungsabteilung bleibt verwehrt – dass es sie gibt, zeigt sich am riesigen Schneidetisch nebenan. Ein Laser projiziert die neuesten Ideen der Produktentwickler direkt auf den Tisch, ein computergesteuerter Cutter seziert in Sekunden die gewünschten Einzelteile aus dem ausgerollten Leder. Weil die Wege kurz sind, kann in Jetzendorf binnen eines Tages aus einer 3D-Skizze ein fertiger Prototyp entstehen.

RETTER RIETHMANN
Ein Stockwerk darüber wird es dann ernst: Die «Hochzeit» von Schaft und Sohlenaufbau steht an. Grosse Gitterkästen voller Firmengeheimnisse stehen hier herum – die Leisten. Aus Kunststoff gegossen, für jedes Modell und jede Schuhgrösse leicht anders, über die Jahrzehnte in Millimeterschritten angepasst an die natürliche Entwicklung des menschlichen Fusses. Um diese Leisten herum zwicken spezielle Maschinen die Schäfte aus dem Erdgeschoss an die Brandsohle. Grosse Absauganlagen halten die Luft rein, denn für die Montage von Geröllschutzrand und Sohlenaufbau ist einiges an Kleber nötig. Hier noch etwas Feinschliff, Zwischenstopp beim «Ausleisten», da noch ein Durchgang in der Imprägnieranlage, Schnürsenkel rein, ab ins Lager. Um 10.53 Uhr zeigt der grosse Zähler an der Hallendecke bereits 575 fertige Lowa «Focus» an – simply more.

Natürlich gab es Rückschläge in der Unternehmensgeschichte: Als 1953 infolge des Korea-Krieges das Leder knapp und teuer wurde, musste Gründer Lorenz Wagner den Betrieb mit horrenden Summen am Laufen halten. Kurz darauf fielen die Preise wieder, eine Insolvenz konnte die Firma nur knapp vermeiden. Auch in den späten 1980er-Jahren geriet die Firma in finanzielle Schieflage. Schliesslich wurde Lowa im 70. Jahr der Firmengeschichte an die italienische Tecnica-Gruppe verkauft. Dass Lowa heute besser da steht denn je, ist nicht zuletzt Werner Riethmanns Verdienst. Den Kreuzlinger, der am Wochenende von Jetzendorf nach Hause in die Schweiz pendelt, sähen «immer noch viele Mitarbeiter hier als Retter», erzählt Anke Stärk. Was hat Riethmann, der Ende der 80er-Jahre vom Schweizer Schuhhersteller Raichle zu Lowa wechselte und heute selbst Anteilseigner des Unternehmens ist, verändert?


Seit 1923 sitzt Lowa im bayerischen Jetzendorf. Bei der Durchfahrt fällt das Gelände im Ortskern kaum auf.

IN DIE WEITE WELT
Vor allem zwei Dinge sind gewachsen: das Sortiment und das Vertriebsnetz. Nahezu 500 Modelle umfasst heute eine Lowa-Kollektion, vom ultrawarmen Expeditionsstiefel bis zum urbanen Sneaker für den Stadtbummel. Selbst Kletterschuhe gibt es. «Lowa ist in verschiedene Nischen rein, die es gab», sagt Stärk. «Es hat Riethmann zum Beispiel nicht gefallen, dass Athleten von uns in Lowa-Schuhen zur Wand steigen und dann in andere Kletterschuhe wechseln.» Dank dieser Strategie hat Lowa den Trend zu leichten Bergschuhen von Anfang an mitbestimmt. Der seit 1998 immer wieder neu aufgelegte Bestseller «Renegade» ist sozusagen der Sargnagel der bocksteifen Bollerschuhe, ohne die sich früher niemand in die Berge wagte. Mit ähnlicher Konsequenz wurde das Vertriebsnetz ausgebaut, inzwischen sind Lowa- Schuhe In 55 Ländern erhältlich. Allein in China, wo stark in Markenshops eingekauft wird, gibt es 30 Lowa- Stores. Derzeit wird am Aufbau des Südamerikavertriebs gearbeitet. Die dritte Säule, die momentan zu einem tragenden Pfeiler aufgebaut wird, ist das Marketing. TV-Kampagnen, eine globale Website, Kundennähe in den sozialen Netzwerken und Multi-Channel-Publikationen sollen die Marke Lowa noch weiter in die Welt hinaustragen. Fakt ist: Der hauseigene Slogan «Simply more» lässt sich bei Lowa nicht nur auf eine Lesart verstehen. Nur für das nächste Lager, lacht Anke Stärk, müsse man sich etwas einfallen lassen: «Eigentlich müssten wir in die Höhe wachsen – aber da ist schon die Solaranlage.»

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