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Sicherer Sitz

Hanna Bär, Dienstag, 25. April 2023

Der Klettergurt: das Verbindungsglied zwischen Körper und Seil, und damit zentraler Teil unserer Lebensversicherung am Berg. So klar der Zweck, so gross die Zahl an Modellen: Was ist die perfekte Passform und wie findet man persönlich den optimalen Gurt?

«What goes up, must come down.» Der Legende nach stammt dieser Satz von Isaac Newton, als er einen Apfel von einem Baum fallen sah und daraus im Jahr 1687 sein Gravitationsgesetz ableitete. Fast 100 Jahre später, im Jahr 1786, standen erstmals Menschen auf dem Gipfel des Montblanc. Noch lange nach dieser «Geburtsstunde des Alpinismus» banden sich Bergsteigerinnen und Kletterer ein simples Hanfseil um Brust oder Hüften, um sich gegen Abstürze zu sichern. Denn bis die ersten genormten Klettergurte auf den Markt kamen, dauerte es noch einmal fast zwei Jahrhunderte. Erste Entwicklungsversuche von Prototypen werden der niederländischen Kletterpionierin Jeanne Immink Ende des 19. Jahrhunderts zugeschrieben. In den 1960er-Jahren werden im Yosemite der «Swami Belt» und dazugehörige abnehmbare Beinschlaufen entwickelt und die britische Firma Troll bringt den «Whillans Harness» als ersten Sitzgurt mit fest verbundenen Hüft- und Beinschlaufen heraus. Heute gehören Klettergurte zur Grundausrüstung eines jeden Kletterers. Und sie sind mehr als nur die eigene Lebensversicherung. Je nach Einsatzbereich erfüllen sie noch weitere Funktionen, etwa als Sitzplatz beim Projektieren oder als Materialtransporteur.

Spricht man von Klettergurten, ist heutzutage der Sitz- oder Hüftgurt gemeint. Also eine Konstruktion aus Hüftband und Beinschlaufen, die im Falle des Falles die Sturzenergie grossflächig auf die Beine verteilt. Brust- bzw. Kombigurte werden fast nur noch im gewerblichen Bereich angewendet, etwa beim Industrieklettern, da sie die Bewegungsfreiheit etwas einschränken. Notwendig ist die Kombination aus Hüft- und Brustgurt dann, wenn der Körperschwerpunkt durch das Tragen eines schweren Rucksacks stark erhöht ist oder wenn die Hüfte im Verhältnis zum Körper zu schmal ist. Letzteres ist vor allem bei Kindern der Fall. Bei ihnen ist die Hüfte noch weniger stark ausgeprägt. So besteht die Gefahr, bei einem Kopfübersturz aus dem Gurt zu rutschen. «Mit einem Kombiklettergurt sind Kinder sicher eingebunden und können beim Klettern toben, spielen und sich ausprobieren», so der Experte Matthias Schmid, der den Wareneinkauf von Klettergurten bei Bächli Bergsport verantwortet. «Wenn sie dann etwas ernsthafter klettern und den entsprechenden Körperbau haben, kann auf einen Sitzgurt gewechselt werden.»

Allround-, Sport- oder Alpinklettergurt?

Klettergurte lassen sich je nach Einsatzzweck in Allround-, Sport- und Alpinklettergurte einteilen. «Bei Allroundklettergurten liegt der Fokus auf der Anpassbarkeit und dem Komfort beim Tragen», erklärt Schmid. Aus diesem Grund sind die Gurte mit einer soliden Polsterung versehen und haben je eine Schnalle an den Beinschlaufen und eine oder zwei Schnallen am Hüftband. So kann der Gurt an unterschiedlich dicke Bekleidung, die darunter getragen wird, angepasst werden. Zudem sind diese Gurte mit mindestens vier stabilen Materialschlaufen ausgestattet, bei manchen Modellen gibt es zusätzliche Befestigungsmöglichkeiten für Materialkarabiner. Allroundgurte eignen sich grundsätzlich für alle alpinen Spielarten, gängige Marken im Sortiment von Bächli Bergsport sind etwa Petzl, Mammut, Black Diamond, Edelrid oder Arc'teryx. «Beim Sportklettergurt steht hingegen das leichtere Gewicht im Mittelpunkt», erklärt Schmid. Beim Sportklettern hängt man nicht lange im Gurt und möchte sich möglichst uneingeschränkt bewegen, daher ist die Polsterung minimal. Abgespeckt wird auch beim Funktionsumfang: Die Beinschlaufen sind nicht verstellbar, sondern höchstens mit kleinen Gummizügen ausgestattet, für ein paar Expressschlingen, Abseilgerät und einen Satz Keile genügen zwei bis vier Materialschlaufen. Bei Wettkampfgurten wird zur weiteren Gewichtseinsparung komplett auf Polsterung und Materialschlaufen verzichtet.

Die für Ski- und Hochtouren konzipierten Alpinklettergurte sind in ihrem Einsatzbereich besonders: «Man ist mehr damit am Laufen, als man darin hängt», so Schmid. Eine sehr begrüssenswerte Neuerung der letzten Jahre war die Entwicklung von Gurten, die man auch mit angelegten Steigeisen oder ohne aus der Skibindung zu steigen anlegen kann. Alpingurte werden im Zu- und Abstieg häufig auch im Rucksack mitgetragen – Packmass und Gewicht spielen also eine Rolle. Zu spartanisch dürfen die Alpingurte aber auch nicht sein, wenn Eisschrauben, Reepschnur und Co. dort Platz finden sollen. Teilweise wird zur Gewichtsreduktion komplett auf Metallschnallen im Verschluss verzichtet und auch die Materialschlaufen sind möglichst dünn und leicht gehalten. «Zugunsten des Packmasses, des Gehkomforts und des Gewichts wird auch das Polster weitestgehend eingespart», sagt Schmid. Zu den absoluten Federgewichten im Bächli-Sortiment gehören hier mit 68 Gramm der Alp Race von Camp und mit 90 Gramm der Choucas Light von Blue Ice. Der Fly von Petzl bietet mit herausnehmbaren Polstern in Hüftgurt und Beinschlaufen die Wahlmöglichkeit zwischen etwas mehr Komfort oder leichterem Gewicht (Reduktion von 130 auf 100 Gramm).

Ein Spezialfall sind Bigwall-Klettergurte. Bei dieser Kletterdisziplin sind eine Vielzahl an Karabinern, Haken, Keilen, Friends, Trittleitern und weiteren Utensilien im Einsatz. Am Gurt gibt es dafür zusätzliche Materialschlaufen. Die verstärkte Polsterung und ein breiteres Hüftband verteilen das Gewicht des am Gurt mitgetragenen Materials noch grossflächiger, und der Gurt bleibt so auch bei längerem Sitzen komfortabel. Anpassbarkeit, Tragekomfort und eine gute Organisation sind hier wichtiger als ein geringes Eigengewicht. So ist der Bigwall-Klettergurt Synchro von Wild Country mit 560 Gramm der schwerste Hüftgurt im Bächli-Sortiment.

Varianten innerhalb der Norm

Eines haben alle Gurte gemeinsam: Als persönliche Schutzausrüstung müssen sie für den Verkauf zertifiziert sein, und zwar nach der Norm EN 12277. Schmid betont: «Egal, ob Allrounder oder ein auf einen Bereich spezialisierter Klettergurt, von der Sicherheit sind sie alle gleich. Sie erreichen alle dieselbe Norm und in der Schweiz darf auch kein Klettergurt ohne diese Norm verkauft werden.» In einem einheitlichen Verfahren wird beispielsweise eine Kraftbelastung von 15 kN über eine festgelegte Zeit überprüft. Übrigens: Auch die Breite des Hüftbandes ist genormt, sie muss mindestens 43 mm betragen. Da das Hüftband und die Beinschlaufen den Hauptteil des Gurtes ausmachen, ist ihre Konstruktion für den Tragekomfort und den Einsatzzweck eines Klettergurtes besonders ausschlaggebend. Schmid betont in diesem Zusammenhang auch die möglichen Unterschiede in der Luftdurchlässigkeit und dem damit verbundenen Wärmeempfinden beim Tragen eines Gurtes. Gepolsterte Bänderkonstruktionen sind bequem und haben eine solide Luftdurchlässigkeit. Gurtkonstruktionen mit einem tragenden Einfassband zeichnet eine sehr gute Luftdurchlässigkeit und ein geringes Gewicht aus, sind aber etwas weniger komfortabel. Laminierte Konstruktionen sind leicht und bequem, dafür weniger gut belüftet. Zudem gibt es Varianten, bei denen einzelne tragende Stränge eine Polsterung durchziehen, um die Last möglichst breit zu verteilen. Bächli-Experte Schmid plädiert jedoch dafür, die Praxis hier der Theorie vorzuziehen: «Was letztlich bevorzugt wird, da gehen die Geschmäcker weit auseinander. Am Schluss muss der Gurt beim Gehen, Tragen und Hängen bequem sein», so Schmid.

Die Wahl des perfekten Gurtes

Die Auswahl des passenden Klettergurtes ist individuell und hängt auch mit den persönlichen Vorlieben zusammen. «Erst einmal muss man sich damit auseinandersetzen, wofür man den Gurt hauptsächlich braucht, und dann darauf achten, dass er gut zum eigenen Körper passt und bequem ist», rät Schmid. Optimal passt ein Gurt, wenn er über den Hüftknochen in etwa auf Bauchnabelhöhe sitzt und nirgends zwickt. Im geschlossenen Zustand sollte kein Bandmaterial ungepolstert auf den Körper drücken. Das an der Verschlussschnalle überstehende Band ist lang genug für einfaches Fädeln, aber nicht zu lang, um es noch ordentlich am Gurt verstauen zu können. Die Einbindeschlaufen sind mittig auf dem Körper und nicht nach links oder rechts verschoben. Die Beinschlaufen sitzen knapp unterhalb des Gesässes und sind so eng anliegend, dass eine flache Hand noch dazwischenpasst. Wer viel mit angelegtem Gurt geht, etwa auf Hochtouren, sollte auch darauf achten, dass dabei die Beinschlaufen nicht aneinanderreiben. Andernfalls sollte man eine andere Grösse oder gar ein anderes Modell anprobieren. «Wir schauen darauf, dass Gurte für ganz unterschiedliche Körperformen und so für jeden der passende Gurt im Sortiment sind», so Bächli-Einkäufer Schmid. Damenmodelle unterscheiden sich im Verhältnis von Hüftband zu Beinschlaufen oder einem grösseren Abstand der Einbindeschlaufen von den Herrenmodellen. «Das ist aber nicht in Stein gemeisselt, dass diese einer Frau unbedingt besser passen», sagt Schmid. Im Idealfall testet man den Gurt in einer der Bächli-Filialen: Frei hängend kann der Gurt hier Probe gesessen werden. Dazu rät Schmid unbedingt, da man nur so spürt, wie der Gurt unter Belastung tatsächlich sitzt. Absolute Kletteranfänger sind meist mit einem Allroundklettergurt gut beraten. «Längerfristig macht es Sinn, wenn man unterschiedliche Disziplinen ausübt, sich auch jeweils einen speziellen Gurt zuzulegen», gibt Schmid als Tipp.

Gelagert werden Gurte übrigens gut geschützt vor Sonnenlicht, nicht zu eng zusammengedrückt an einem eher kühlen, trockenen Ort. Während einer Tour sollte man darauf achten, dass der Gurt so wenig dreckig wie möglich wird und auch im Rucksack in einem sauberen Fach transportiert wird. «Feiner Schmutz oder auch Magnesium wirken im Gurtmaterial wie Schmirgelpapier und beschleunigen den Verschleiss», warnt Schmid. Sollte ein Gurt stark verschmutzt sein, kann er auch von Hand – ähnlich wie Kletterseile – mit einem nicht aggressiven Reinigungsmittel wie Gallseife gewaschen werden. Getrocknet wird ein nasser Gurt schonend, nicht direkt in der Sonne oder auf einer Hitzequelle. Auch bei guter Pflege ist die Lebensdauer eines Gurtes begrenzt. Sobald Abnutzungserscheinungen am tragenden Bandmaterial, insbesondere an den Einbindeschlaufen zu erkennen sind und sich Fasern lösen oder aufpelzen, muss man den Gurt ersetzen. Wann das der Fall ist, hängt davon ab, wie oft und intensiv man den Gurt verwendet. Selbst bei Nichtbenutzung empfehlen die meisten Bedienungsanleitungen, einen Klettergurt nach zehn Jahren auszutauschen. Im Zweifel nehmen wir bei Bächli Bergsport einen Klettergurt gerne in Augenschein und empfehlen, was zu tun ist.

Isaac Newton hat normierte Klettergurte um gut 300 Jahre verpasst. Vermutlich hätte er auch lieber unter dem Apfelbaum gelegen, als mit einem Gurt einen Berg zu besteigen – zu seinen Lebzeiten ein allgemein als sinnlos erachtetes Unterfangen. Und trotzdem ist der Physiker auf jedem existierenden Gurt verewigt – in dem kleinen Kürzel kN für Kilonewton, das irgendwo am Gurt aufgedruckt oder eingenäht ist. Ein gerechter Lohn dafür, dass wir uns beim Klettern auf unser Material verlassen können.