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Einblicke in die Welt von Wettkampfathlet Kevin Huser

Kevin Huser, Montag, 25. Februar 2019

Was einem Athleten durch den Kopf geht, wenn er in einem Worldcup meterhoch über dem Abgrund schwebt, ist schwer in Worte zu fassen. Kevin Huser gibt einen kleinen Einblick in seine Welt des Ice Climbings als Wettkampfathlet und der damit verbundenen Gefühls-Achterbahn.

Die Anreise nach Saas-Fee trat ich am Donnerstag an. Am Abend war nur ein kurzes technisches Briefing, wo wir Athleten auf Besonderheiten des Wettkampfs jeweils aufgeklärt werden. Danach assen wir gemeinsam als Team gemeinsam zu Abend und dann gings ins Bett. Am Freitagmorgen stand als erstes die Lead-Quali der Frauen auf dem Programm. Ich muss ehrlich sagen, da fühle ich mich jedes Jahr aufs Neue wie ein grosser Glückspilz, da ich alles andere als ein Morgenmensch bin und es mir viel leichter fällt, meine Topleistung jeweils am Nachmittag oder Abend abzurufen.

Wir starteten um 12.00 Uhr. Seit dieser Saison findet die Quali neu immer im Flashmodus mit zwei Routen statt. Das heisst, man darf den Konkurrenten, die zuerst starten, beim Klettern zuschauen. Schnell zeigte sich, dass die Routen eher auf der einfachen Seite waren. Davon liess ich mich aber nicht aus der Ruhe bringen. Ich legte mir einen guten Plan für die erste Route zu Recht und richtete auch mein Aufwärmprogramm darauf aus. Sprich, ich versuchte schon ähnliche Züge an der Aufwärmwand zu kreieren, wie sie dann auch in der Route vorkommen würden.

Nun war es so weit, endlich durfte ich nach vorne in den Eisdome, um mein Können unter Beweis zu stellen. Bei den ersten Zügen war ich schon recht nervös aber das gehört einfach dazu. Mir gelang es, meinen Plan durchzuziehen und mit ein wenig Zeitreserve erreichte ich das Top. In der zweiten Route galt es wieder, bis zum Top zu klettern, wenn ich es ins Halbfinale der besten 18 schaffen wollte. Das Gelang mir ebenfalls ohne grössere Patzer. Damit war der erste Wettkampftag bereits vorbei. Was mich dabei besonders freute war, dass ich mit 6 Team Kollegen und 5 Team Kolleginnen den Einzug ins Halbfinale schaffte. Das war aus Schweizer Sicht ein absoluter Rekord!

Am Samstagmorgen ging es weiter mit dem Halbfinal der Damen. Dabei wurde meinen Nerven schon alles abverlangt, als meine Freundin Vivien Labarile am Klettern war. Es war erst ihre zweite Teilnahme in einem Halbfinale. Dementsprechend hoffte ich einfach, dass sie es schafft, ihr Bestes zu zeigen. Das gelang ihr auch und bisher wusste niemand, dass ihr Bestes sie gleich auf den 5. Zwischenrang und somit ins Final katapultieren würde. Zusammen mit Sina Goetz hatten wir schon zwei Team Mitglieder im Final. Am Nachmittag durfte ich selbst wieder ran. Nachdem ich in den letzten zwei Jahren jeweils sehr früh Im Halbfinal an einem Griff abrutschte, wollte ich dieses Jahr unbedingt wiedermal eine gute Leistung zeigen. Für den unangenehmen ersten Zug nahm ich mir deshalb ausgiebig Zeit und das Zahlte sich aus. Ich schaffte den Sprung und war von da an mit Vollgas unterwegs. Gegen Mitte der Route fingen meine Unterarme an zu brennen und ich spürte den "Pump". Das ist bei so langen Routen ganz normal und es gilt, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Wo ich dann die Ansage der letzten Minute hörte, drehte ich nochmals richtig auf und verlangte meinem Körper alles ab. Mir gelangen noch einige Züge. Dann hörte ich mein "Time-out" und ich musste meinen Versuch ca. 5 Griffe vor dem Top beenden. Da ich bereits als Dritter von 19 Startern kletterte, konnte ich meine Leistung noch kaum einschätzen. Als es dann aber endlich klar war, dass ich es ins Final schaffe, war ich überglücklich.

Von meinen zehn Jahren in Saas-Fee, gelang es mir erst zum zweiten Mal, mich fürs Final zu qualifizieren. Alleine die Teilnahme an diesem Final ist für mich schon ein grosser Erfolg. Mit den Zuschauern verteilt über mehrere Stockwerke entsteht dabei eine einzigartige Stimmung und egal, wo man sich in der Route gerade befindet, ein Teil der Zuschauer ist immer hautnah dabei. Meine Vorfreude war also riesig.

Zuerst musste ich aber wieder mit den anderen Athleten in der Isolationszone warten und mich auf die Route vorbereiten. Aufwärmen durfte ich nicht mehr zu viel, mein Körper war schon ein wenig erschöpft vom Halbfinal. Ein wenig aktivieren reichte somit vollkommen aus. Endlich war es so weit und ich durfte mich zur Wand begeben. Bereits vor meinem Start war es sehr laut und die Stimmung einfach grandios. Für den Start musste ich mich daher sehr zusammenreissen, um die nötige Ruhe zu bewahren und meinen Rhythmus in der Route zu finden. Dies gelang mir relativ gut und ich bewältigte den ersten Teil der Route ohne grössere Unsicherheiten. Tempomässig war mein Start sehr langsam im Vergleich zur Konkurrenz. In der Mitte der Route kam dann ein spektakulärer Sprung. Für das Publikum ist so ein Zug etwas vom tollsten, das es gibt. Als Athlet habe ich bei diesen Sprüngen immer sehr gemischte Gefühle. Bevor ich ihn mache, hasse ich ihn und wünschte mir, dass es keinen Sprung gäbe. Gelingt er dann allerdings, treibt mich das umso mehr an und das Adrenalin schiesst durch jeden Teil meines Körpers und entfacht einen riesigen Energieschub. Wie bereits im Halbfinal nahm ich mir genügend Zeit, um meine Absprungposition einzunehmen. Nun stand ich da in dieser Verschneidung, nahm wieder beide Pickel in die Hände und sprang mit vollem Fokus auf dieses Loch zu. Bammmmmmm!!!! Es war Geschafft und ich schwang an diesem Eisbömmel herum. Beim Zurückschwingen haute ich meine Füsse wieder in die Wand und bewegte mich von nun an Zug für Zug so schnell als möglich nach oben. Meine Sinne nahmen kaum mehr etwas richtig war, es gab nur noch diese Route, mich und eine tobende Menge. Dieser "Lärm" trug mich Zug um Zug nach oben. Beim nächsten Eisbömmel wusste ich zuerst nicht, wie ich den Zug machen sollte und ich sammelte mich neu. Mit einem neuen Lösungsansatz schaffte ich dann den Zug trotzdem noch. Gleich darauf war meine Zeit abgelaufen.

Im Seil hängend, mit dem Bewusstsein, dass ich während den letzten 8 Minuten einfach alles gegeben hatte und endlich nach zehn Jahren und unzähligen Malen scheitern, nun auch im Final alles geben konnte, liess ich mich feiern und genoss diesen Moment mit jeder Pore meines Körpers.

Das Wettkampfklettern ist nunmehr seit etwa 14 Jahren Bestandteil meins Lebens. Dabei sind die Erfolgsmomente immer sehr kurz. Manchmal investiert man sehr viel Zeit und Energie und wird am Ende doch nicht belohnt. Es braucht sehr viel, dass alles so an einem Tag zusammenkommt. Passiert es dann aber wirklich, ist es einfach unbeschreiblich und man weiss wieder, wieso man sich all das eigentlich antut.

Ich wurde in diesem Final letzter, sprich 8. von 8. Bereits mit einem Griff mehr, reichte es für einen Podestplatz. Das ist einerseits natürlich sehr bitter. Andererseits zeigt mir das, dass auch ein Podest in Reichweite liegt. Natürlich werden Athleten an ihren Klassierungen gemessen und verglichen. Mit mir selbst bin ich aber nur zufrieden, wenn ich von der Route runterkomme und weiss, dass ich gerade mein Bestes gezeigt habe. An allem anderen muss ich dann im Training arbeiten.

Bilder: Peter Huser

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