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Kalte Kunst

Rabea Zühlke, Dienstag, 10. Dezember 2019

Beim Eisklettern ist die richtige Ausrüstung essenziell. Denn ohne haben Kletterer an der eisigen Vertikalen keine Chance. Doch was sind die richtigen Produkte und auf welche Feinheiten kommt es an? Ein Ratgeber.

Wenn die Temperaturen fallen, Wasserfälle zu kletterbaren Säulen gefrieren und dicke Eisschichten die Felsen bedecken, zieht Samuel Bundi los. Und das, so oft es geht – wenn es denn mal geht. «Die Eisklettersaison ist nicht lang», sagt der Abteilungsleiter Hartwaren von Bächli Bergsport. «Meist sind es nur wenige Wochen, an denen alles zusammenpasst.» Ist es zu kalt, wird das Eis spröde. Ist es zu warm, sind die Eistrukturen instabil. «Ideal sind beständige Temperaturen um null Grad über mehrere Wochen», weiss Bundi. Doch selbst dann bewegt sich das Eis von Tag zu Tag. Temperatur, Wassermenge und Untergrund beeinflussen das Eis permanent. Aber wenn das Eis einmal steht und die Bedingungen passen, gibt es wenig Vergleichbares: So abweisend die gläsernen Strukturen aussehen, so anziehend sind sie für Eiskletterer. Vor-ausgesetzt, die Ausrüstung stimmt. Denn ohne das richtige Material ist das Spiel in der eisigen Vertikalen vorbei, bevor es überhaupt losgeht.

Eisgeräte
Eisgeräte, Steigeisen und Eisschrauben gehören zu den wichtigsten Tools beim Eisklettern. Im Vergleich zu klassischen Hochtourenpickeln, die auf dem Gletscher oder beim Skibergsteigen als Stockersatz, Werkzeug oder Rettungsanker dienen, unterscheiden sich technische Eisgeräte vor allem in Form, Festigkeit und Gewicht. In Eis-, Mixed- oder Drytooling-Routen sind sie einer höheren Belastung ausgesetzt. Anders als Hochtourenpickel müssen Haue und Schaft deswegen bestimmten Festigkeitswerten nach UIAA- und EU-Normen entsprechen. Dadurch sind technische Eisgeräte in der Regel schwerer – was aber der notwendigen Schlagwucht beim Setzen ins Eis zugutekommt. Als Kunde erkennt man den Unterschied zwischen den beiden Typen am Buchstaben, der am Schaft eingeprägt ist: Eisgeräte haben ein «T», klassische Hochtourenpickel ein «B». Über die Form entscheidet der Einsatzbereich: Je steiler das Gelände, desto gewinkelter Schaft und Haue. «Leicht gebogene Eisgeräte wie das Quark von Petzl eignen sich für steile bis vertikale Eisfälle genauso wie für steile Nordwände oder Firnfelder», erklärt Bundi. «In Steileis- oder in Mixed-Routen ist der Schaft stärker gebogen, in anspruchsvollen und überhängenden Mixed- und Drytooling-Routen ist die Krümmung noch ausgeprägter und der Griff geneigt.» So lässt sich das Gerät präziser und kräftesparender im steilen Gelände platzieren. Auch die Dicke der Haue unterscheidet sich nach Spielart: «Zwar sind alle Hauen aus gehärtetem Stahl, beim Mixed-Klettern und beim Drytooling müssen sie aber dicker und robuster sein», urteilt der Bächli-Experte. Zahnung und Spitze sind bei Touren im Fels oder im kombinierten Gelände dafür weniger scharf, weil die Haue gezielt gesetzt und nicht geschlagen wird. Hammer oder Schaufel am Kopf sind übrigens unnötig. «Ein Hammer dient zum Einschlagen von Haken, eine Schaufel zum Stufenschlagen oder Schnee entfernen», erklärt Bundi. Hilfreich sind diese Werkzeuge in Nordwänden oder Firnflanken, weniger beim Eisklettern. Sinnvoll sei dagegen ein ergonomisch geformter Doppelgriff (z. B. Petzl Ergonomic). «Das ermöglicht verschiedene Haltepositionen im steilen oder überhängenden Gelände», weiss der Abteilungsleiter. Feinheiten, die bei Anfängern zunächst wenig Relevanz ha- ben, aber für den ambitionierten Eiskletterer ausschlaggebend sind. Für Beginner gilt: «Das Gerät sollte gut in der Hand liegen und der Griff auf die Handgrösse abgestimmt sein», so Bundi. Den Wert scharfer Eisgeräte kann man kaum überschätzen. Sie greifen nicht nur besser im Eis, sondern entwickeln auch weniger Sprengkraft. Die Hauen sollten also regelmässig gewartet werden, zumal das kein Hexenwerk ist: «Mit einer einfachen Handfeile zu Hause nachschleifen», rät der Bächli-Experte. Dafür das Gerät an der Haue einspannen und die Feile senkrecht zur Kante vor und zurück bewegt – möglichst gerade, um den Schliff beizubehalten. Für zu stark abgenutzte Hauen bieten fast alle Hersteller Ersatz an.

Steigeisen
Wer Eisklettern richtig lernen will, braucht Steileissteigeisen mit einer und zwei vertikalen Frontalzacken. Bei ersten Versuchen im Eis können diese übrigens in allen Bächli-Filialen gemietet werden. «Für reines Eisklettern empfehlen sich Modelle mit Doppelzacken», sagt Bundi. Diese seien auch für Anfänger von Vorteil: «In wenig steilen und viel begangenen Wasserfällen geht es eher ums Hooken, also dem Einhängen der Eisgeräte in vorgeschlagene Einschlaglöcher, und ums Steigen.» Zwei Zacken geben mehr Auflagefläche und Stabilität. Wer dabei die Fersen leicht hängen lässt, spart zudem Kraft und verbessert den Halt der Frontalzacken im Eis. Ambitionierte Eiskletterer, die sich im steileren Eis wohlfühlen, sowie Mixed- und Drytooling-Fans, bevorzugen Steileissteigeisen mit einem Frontalzacken, sogenannte Mono-Zacken. Mit ihnen lässt sich präziser antreten, gleichzeitig besitzen sie im spröden Eis weniger Sprengkraft. Praktisch sind Modelle mit austauschbaren Frontalzacken, die sich je nach Tour umbauen lassen.

Eisschrauben
Eisschrauben dienen als Zwischensicherung, zum Bau eines Standplatzes sowie zum Bohren von Eis-Sanduhren, sogenannten Abalakovs, über die abgeseilt wird. «Zehn bis zwölf Schrauben pro Seilschaft sollten reichen», erklärt der Bächli-Abteilungsleiter. «Idealerweise in unterschiedlichen Längen von zehn bis 20 Zentimetern, die je nach Eisdicke zum Einsatz kommen.» Je nach Konstruktionsart gibt es Eisschrauben mit oder ohne Kurbel an der Lasche. Eine integrierte Kurbel ist beim Eisklettern sinnvoll, bei normalen Hochtouren weniger essenziell. «Sie erleichtern das Handling – zumal die Schrauben mit einer Hand gesetzt werden müssen.» Effizientes Arbeiten ist dabei nicht nur zeitsparend, sondern vermeidet dicke Unterarme. Ein Fan von Leichtbau ist Bundi nicht unbedingt: «Wenn sechs Eisschrauben an jeder Gurtseite in der Bewegung aneinanderschlagen, geht bei ultraleichten Modellen aus Aluminium schnell das Gewinde kaputt.» Robuster als die Hybrid-Konstruktionen sind Schrauben aus Stahl. Doch auch diese nutzen sich irgendwann ab. Vom Nachschleifen der Zähne in Eigenregie rät der Experte allerdings ab: «Damit Eisschrauben bissig bleiben, muss der Winkel exakt stimmen.» Von Hand sei das kaum möglich. In allen Bächli Bergsport Filialen können Eiskletterer ihre stumpfen Eisschrauben in Spezialmaschinen schleifen lassen. Zum Bohren einer Abalakov-Eissanduhr ist eine Fädelhilfe zum Durchziehen der Reepschnur notwendig. «Ideal sind Fädler mit integriertem Messer, um die Reepschnur auf die gewünschte Länge kürzen zu können.» Der Rest am Klettergurt unterscheidet sich kaum von anderen alpinen Unternehmungen: Express-Schlingen, Karabiner, Tuber, Bandschlingen. Die Standard-Ausrüstung.

«Wer viel im Eis klettert, nutzt die Imprägnierung nach einer Saison ab. Ist das Seil unbeschadet, kann es aber problemlos zum Sportklettern benutzt werden.»
Samuel Bundi Abteilungsleiter Hartwaren

Steigeisenfeste Schuhe
Als Schuh eignet sich ein voll-steigeisenfestes Modell der Kategorie D. Bundi rät zu warmen, festen Lederschuhen, die mit einer Gore-Tex -Membran ausgestattet sind (z. B. Scarpa Mont Blanc Pro GTX). Im Wettkampf oder bei überhängenden Drytooling-Touren kommen spezielle Eiskletterschuhe zum Einsatz, bei denen Monozacken direkt im Schuh integriert sind. Doch diese bleiben normalerweise den Profis überlassen. «In Kombination mit warmen Merinosocken sind steigeisenfeste Hochtourenschuhe mit steifer Sohle und guter Isolation ideal.» Auf Primaloft-Socken würde Bundi verzichten: «Die Socken sind meist so dick, dass der Schuh zu eng wird und die Zehen keinen Spielraum zum Bewegen mehr haben.» Dann seien kalte Füsse vorprogrammiert.

Imprägnierte Seile
Wie beim Sport- oder Alpinklettern wird mit Einfach- oder Halbseilen geklettert: In Eisklettergärten mit Einfachseil, in den alpineren Gefilden mit Halbseilen. Ausschlaggebend bei beiden ist die Imprägnierung: Mit nassem oder hartgefrorenem Strick wird das Seilhandling nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich, da im nassen Zustand die Belastbarkeit des Seils reduziert ist. Bei dem Imprägnierungsprozess wird das Seil entweder am Ende behandelt (Mantelimprägnierung) oder Mantel und Fasern werden separat voneinander imprägniert und nach dem Flechtprozess nochmals behandelt. Kletterseile der letzten Variante erfüllen in der Regel die UIAA Water Repellent Norm – eine Zertifizierung für imprägnierte Kletterseile. «Um die Zertifizierung zu erreichen, dürfen Seile nicht mehr als 5 Prozent des Eigengewichts an Wasser aufnehmen», erklärt Christian Peschel von Petzl. Durch den Veredelungsprozess sind die Seile teurer – dafür länger schmutz- und wasserabweisend. Trotzdem haben Seile mit Mantelimprägnierung ihre Berechtigung: «Für sommerliche Tages- oder Halbtagestouren reicht eine reguläre Imprägnierung wie die Duratec Dry vollkommen aus», sagt Peschel. Beim Eisklettern, wo Wasser in irgendeiner Form immer im Spiel ist, empfehle sich aber in jedem Fall ein Seil mit UIAA Dry Imprägnierung.

Bekleidung
Natürlich nützt die beste Hardware nichts, wenn man zitternd im Eis hängt. So hat sich das Zwiebelprinzip bewährt: Ein Baselayer aus Merinowolle als erste Schicht, darüber ein Fleece und eine leichte Isolationsschicht aus Kunstfaser (z. B. Primaloft) oder eine leichte Daunenjacke. Die äusserste Schicht muss wasserdicht und robust sein, um vor Nässe und Schnittschäden zu schützen. Und zum Sichern: «Unbedingt eine dicke Daunenjacke, genauso wie dicke Handschuhe», sagt Bundi. Von denen könne man sowieso nicht genug haben. «Ich nehme mindestens zwei bis drei Paar mit. Selbst Handschuhe mit wasserdichter Membran sind irgendwann nass.» Ein weiterer Tipp: «Beim Abseilen einen einfachen Wollhandschuh mit Latex-Überzug aus dem Baumarkt verwenden.» Denn gerade beim Abseilen ist der Verschleiss durch Nässe und Feuchtigkeit hoch. Schade wäre es um die teuren Modelle. Zur weiteren obligatorischen Ausrüstung gehören nicht nur Stirnlampe, Biwaksack und Erste-Hilfe-Set, sondern je nach Einzugsgebiet und Ausrichtung genauso Lawinenverschüttetensuchgerät, Sonde und Schaufel. «Im Safiental oder im Avers gibt es Wasserfälle, die ein grosses Einzugsgebiet haben und stark lawinengefährdet sind», warnt Bundi. Wer das bei der Tourenplanung beachtet und gut gerüstet antritt, dem wird der Einstieg ins Eisklettern garantiert gelingen.

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