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Spaltensturz am Jungfraufirn des Aletschgletschers

Gisela Dünner, Mittwoch, 25. März 2020

Samstag, 08. Juli 2017 – ein schöner und heisser Sommertag. Wir waren auf dem Weg vom Jungfraujoch zur Konkordiahütte. Es war eine Erfahrung, die ich so nicht wieder vergessen werde.

Aller Anfang, meine Eltern, meine zwei Kinder, mein Lebenspartner und ich wollten zu meinem Bruder Christoph und seiner Familie (damalige Hüttenwarte auf der Konkordiahütte). Mein Vater konnte mit einem Versorgungsflug zur Hütte dem Heli beisteigen. Meine Mutter wollte die Acht-Kilometer-Strecke auf dem Gletscher unbedingt wieder unter die Füsse nehmen. Wir wollten dem Wunsch entsprechen und fuhren morgens mit der ersten Jungfraubahn zur Sphinx hoch. Oben angekommen, haben wir uns mit dem entsprechenden Equipment bestückt. Wir wollten ja nichts dem Zufall überlassen.

Beim Verlassen des Stollens konnten wir bei bestem Wetter eine fantastische Gletscherwelt antreffen. Obwohl wir an diesem Morgen die erste Seilschaft waren, war es bereits sehr warm. Unsere Fünfer-Seilschaft begab sich nun auf den Weg. Seilführend ging mein Lebenspartner voraus. Mein Junior machte den Schluss. Der Schnee auf dem Gletscher war extrem sulzig. Die Sonne hatte an den Vortagen bereits ihr bestes gegeben. Auf der Höhe zwischen Kranz- und Trugberg passierte es dann. Meine Mutter, als zweite im Seil, brach ein und war innert Sekundenbruchteilen in einer grossen Spalte eingebrochen.

Zum Glück konnten wir sie sofort auffangen und kein weiteres Mitglied der Seilschaft kam zu Fall. Etwa zwei Meter unterhalb der Gletscheroberfläche hing sie im Klettergurt frei im Seil. Als kräftiger Jungschwinger konnte sich mein Junior am Seilende wie ein Anker mit den Füssen gut verkeilen und dem unerwünschten Nachrutschen Einhalt gewähren. Mein Lebenspartner konnte nun das Erlernte für die Spaltenrettung in der Praxis umsetzen. Ideal wäre es in einer solchen Situation, wenn man eine lange Eisschraube ins blanke Eis fixieren könnte. Bei einer solch dicken und sulzigen Schneeschicht gab es nur die Möglichkeit, mit dem Pickel einen T-Schlitz zu buddeln und diesen als Anker zu vergraben. Mit der Seilverlängerung und Flaschenzug gelang es dann auch, den Karabiner im Klettergurt meiner Mutter zu fixieren.

Meine Mutter war nicht in der Lage, aktiv selber etwas zum Ausstieg beizutragen. Mit dem Flaschenzug stellte sich schnell ein Erfolg ein. Allerdings war dieser nur von kurzer Dauer. Durch die Last am Seil riss es den Pickel aus der sulzigen Verankerung. Ok – kein Problem, dachte sich mein Lebenspartner und buddelte den Pickel noch tiefer ein. Der erneute Versuch lief wieder schief und der Pickel flutschte erneut aus dem Sulz. Beim dritten Versuch, noch viel tiefer zu graben, kam dann eine eher böse Überraschung zum Vorschein. Er kam mit dem Pickel unten raus und konnte unter sich in eine breite und tiefe Spalte runter gucken.

Es ist auch unglaublich, wie schnell 20 oder 30 Minuten ins Land ziehen. Man muss auch bedenken, dass jemand mit Rucksack am Seil hängt und die Durchblutung trotz einem bequemen Gstältli langsam ins Stocken gerät. So richtig warm ist es in der Spalte unten ja auch nicht. Unter dem Motto, diese heikle und breite Brücke nicht weiter zu belasten, haben wir uns dann entschlossen, die REGA-App zu aktivieren. Sofort stand eine telefonische Verbindung zur Zentrale, was auf dieser Höhe ja nicht selbstverständlich ist. Nach Schilderung der Situation wurde die Air-Zermatt alarmiert.

Kurz danach kam eine weitere Siebner-Seilschaft mit einem beherzten Bergführer dazu. Dieser konnte seine Seilverlängerung mit Karabiner am Klettergurt fixieren. Hauruck war meine Mutter mit so vielen Teilnehmern dann wieder oben. Ziemlich durchfroren gab es noch einen Kleiderwechsel. Fast im gleichen Atemzug kam dann auch der Heli angeflogen. Mit dem vorderen Teil der Kufen konnte dieser neben uns im Hang kurz ansetzen. Türe kurz auf – Mutter rein – und Heli wieder weg. So gesehen ging es dann nur noch zu viert Richtung Konkordiahütte, wo wir etwas verspätet dann auch ankamen und die Folgetage dort geniessen konnten.

Nachdem die Wärmedecken im Tal ihr bestes gegeben hatten, kam meine Mutter nach zwei Tagen mit einem späteren Versorgungsflug dann auch noch zur Hütte hoch und konnte sich im Umfeld der Hüttenfamilie vom Schreck erholen. Am 11. Juli konnte sie sogar Ihren Geburtstag dort oben feiern. Die selbstgebackene Schwarzwäldertorte nach Hüttenrezept war für alle ein riesen Schmaus.

Ach da war doch noch was… wir glaubten unseren Augen nicht: Während der Spaltenrettung bekam unser Jungschwinger dermassen Heisshunger, dass er während der Sicherung sein Salamibrot aus dem Rucksack packte und beherzt reinbiss. Er nahm unsere Aussage «nur Ruhe bewahren» wortwörtlich.

Im Sommer möchten wir Christoph und seine Familie wieder besuchen. Diese Saison bewarten sie neu die Glecksteinhütte auf über 2300 m oberhalb Grindelwald. Wir freuen uns, schon bald den Weg unter die Füsse nehmen zu dürfen.

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