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Felstypen

Fabian Reichle, Dienstag, 30. Juni 2020

Stereotypen und Klischees müssen nicht sein. Wir alle haben unsere eigenen, individuellen Gepflogenheiten und Einstellungen gegenüber dem Bergsport. Das ist gut so. Aber seien wir ehrlich: Gerade im Kletteruniversum tummeln sich Gestalten, denen wir immer wieder begegnen. Eine kleine, nicht ganz ernst gemeinte Beobachtung.

Der Kletterhippie

Am Fels sein bedeutet mit der Natur eins werden, mit dem Gestein verschmelzen. Das ist der primäre Beweggrund für den Kletterhippie, in den Klettergurt zu steigen. Fairerweise muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass wir wohl alle aus Liebe zur Natur die Tage draussen verbringen, der Kletterhippie stösst jedoch in neue Sphären vor. So ist er immer – auch bei Bodentemperaturen nahe dem Gefrierpunkt – barfuss unterwegs. Seine Ausrüstung ist in der Regel spartanisch, besteht grösstenteils aus Wollprodukten und ist an einigen Stellen mehr schlecht als recht notdürftig geflickt und zusammengenäht.

Er ist ein ruhiger und spassiger Partner, der den sportlichen Aspekt des Kletterns überhaupt nicht ernst nimmt. Trotz oder gerade deswegen ist er am Fels technisch hervorragend unterwegs.

Eine Subgruppe des Kletterhippies sind etwas ältere Semester, die in den 60ern tatsächlich Hippies waren.


Fred Beckey: Das Kletterhippie-Urgestein (RIP).


Der Gear-Nerd

Der Gear-Nerd weiss nicht nur alles über das Kletterequipment, er besitzt es auch. Und zwar immer das Neueste und Beste. Er würde niemals mit nur einem Paar Kletterschuhe aufkreuzen – schliesslich gibt es passende Finken für Plattenklettereien und solche für kleine Leisten im Überhang. Lieber behängt er seinen Klettergurt mit zehn Kilogramm Expressen auf einer Plaisir-Route, als möglicherweise in der Wand kein Material mehr zu haben.

Manchmal kreuzt er mit Gadgets auf, die nur er versteht und die grösstenteils gar keinen echten Mehrwert bringen. Auf keinen Fall würde er mit handelsüblichem Chalk an den Fels gehen, an seine Hände kommt nur High End-Pulver. Sein Rucksack ist sowieso stets mit allem Möglichen gefüllt, das fürs Klettern gar nicht essenziell ist. Dazu gehört in der Regel auch eine komplette Kameraausrüstung.

Und auch wenn der Gear-Nerd hin und wieder belächelt wird, so ist er ein geselliger Kletterpartner, der immer auszuhelfen weiss. Risse in den Fingern? Rettung naht mit Pflastern und Salben aus seinem huntertteiligen Erste-Hilfe-Set. Bürste für das Boulderproblem vergessen? Der Gear-Nerd steht mit der vollständigen Putzausrüstung parat. Ihr wisst nicht genau, welche neuen Kletterschuhe ihr euch zutun sollt? Mit Rat und Tat steht euch der Gear-Nerd zur Verfügung, denn er weiss, welche Hersteller mit welchem Modell und neuer Grip-Technologie am Start sind.


Der Gear-Nerd in seinem Element: Vollbepackt mit Ausrüstung.


Der Hardcore-Alpinist

Die wildesten Berge sind sein Zuhause. Normalerweise klettert er nur an den haarsträubendsten Felstürmen im Nirgendwo. Je harscher die Bedingungen, desto besser. Sein Gesicht ist jahrein, jahraus braungebrannt. Seine Hände sind zerfurcht. Bei gemütlichen Wochenendausflügen in den Klettergarten wird er nicht wirklich warm, weil unter 10 Seillängen ist er sich nicht ganz sicher, ob es sich überhaupt um echte Kletterei handelt; wenn nicht clean geklettert wird, ist er verwirrt. Aber auch die Umgebung dünkt ihn zeitweise skurril: Er ist es sich gewohnt, in Höhenlagen zu klettern, wo es keine Vegetation mehr gibt. Dass in Zelten geschlafen wird, ist für ihn Luxus, denn normalerweise nächtigt er auf einer Portaledge.

Der Hardcore-Alpinist lebt manchmal in einer Parallelwelt, vergisst auch ab und zu die Zeit. Aber er ist ein hervorragender Begleiter. Er kennt die Berge und alle ihre Gefahren, die er geschickt analysiert. Und auch wenn er mal in den Klettergarten mitkommt, so ist er meist der unkomplizierteste Mensch, den man sich vorstellen kann.


Der Hardcore-Alpinist in seinem natürlichen Habitat.


Der Oben-Ohne-Boulderer

Bouldern ist eine eigenständige Art zu klettern. Für viele Bergsportler ist der Übergang fliessend – manchmal sind sie am Seil, manchmal am Block. Nicht so der Oben ohne-Boulderer. Für ihn existiert das Wort Klettern nicht, für ihn gibt es ausschliesslich Bouldern. Sein Übername rührt daher, dass er spätestens nach fünf Minuten an einem Felsblock sein Shirt auszieht. Warum er das tut, weiss er selber auch nicht so recht. Es ist ein Ritual und wahrscheinlich auf ästhetische Gründe zurückzuführen. Hitzewallungen können kaum Auslöser dafür sein, trägt er schliesslich in der Regel eine Wollmütze dazu. Seine Bekleidung ist ohnehin speziell, denn meistens klettert er in engen Jeans.

Die Optik ist jedoch nur eine oberflächliche Beschreibung, denn der Oben-Ohne-Boulderer ist in der Regel ein Mensch, der die Schwerkraft auszuhebeln scheint. Lockeres Kraxeln gibt es für ihn nicht, das einzig Wahre ist der achte Grad mit Slopern und Crimps, die für Normalsterbliche unhaltbar sind. Und wenn er nicht in Fontainebleau oder im Magic Wood seinen Boulderproblemen nachgeht, hängt er am Fingerboard.

Falls er doch mal nicht körperlich aktiv ist, feuert er andere Boulderer an. Sein Wortschatz beschränkt sich dabei auf «Allez!». Genau hier liegt der unsägliche Mehrwert des Oben-Ohne-Boulderers. Er schafft es, das Letzte aus seinen Buddys rauszuholen und würde es sogar hinkriegen, den oben genannten Hardcore-Alpinisten für ein Boulderprojekt zu begeistern.


T-Shirt weg, Mütze auf, allez!


Der Nostalgiker

Die gute, alte Zeit. Der Nostalgiker ist per Definition schon etwas älter. Bei ihm hat das Klettern in einer längst vergessenen Epoche angefangen. Je nach dem auch schon viel früher, so schweift er manchmal in Zeiten von Nagelschuhen und Hanfseilen aus. Egal wo man mit ihm ist, er hat eine Geschichte parat und zu jedem Berg und jeder Wand eine passende Anekdote. Gerne zitiert er Wolfgang Güllich oder Reinhold Messner, mit denen er übrigens auch schon Mal unterwegs war. Sagt er zumindest.

Sein Outfit stammt entweder aus den 80ern oder 90ern. Er kennt sämtliche Begehungen aus den legendären Masters of Stone-Videos. Früher war halt einfach alles ein bisschen echter und besser. Damals war Klettern noch etwas Rebellisches – das trägt er mit Stolz im Herzen, denn er war damals mittendrin in der Szene.

Der Nostalgiker ist aber keineswegs eine Nervensäge. Es freut ihn, dass so viele jungen Leute am Klettersport Gefallen finden. Das macht ihn sympathisch und sowieso: Von der alten Schule können die Jungspunde sowieso noch einiges lernen.


Die legendäre Lynn Hill (hier ausnahmsweise mit Kamera). Nur die alte Schule ist die echte Schule.


Der Planer

Viele verwechseln den Planer mit dem Gear-Nerd. Der feine Unterschied ist jedoch, dass der Gear-Nerd materialmässig über allem erhaben ist, der Planer hingegen bei der Vorarbeit das Nonplusultra ist. Wenn ihm ein Klettergebiet vorgeschlagen wird, das er noch nicht kennt, verkriecht er sich tagelang vor dem Bildschirm und studiert Karten. Bevor er auch nur einen Fuss an eine Wand setzt, kennt er jeden Fleck bereits in und auswendig. Topos, Routenführung, Beschaffenheit der Sicherungen, Gesteinsarten – der Planer saugt alles auf.

Doch damit nicht genug. Er weiss auch auf die Minute genau, wann ein eventueller Regenguss einsetzen könnte. Er kann sagen, wo es im Umkreis von 50 Kilometern Einkehrmöglichkeiten gibt, weiss auf den Rappen genau, wieviel die umliegenden Parkplätze kosten und hat zur Tiefenrecherche vielleicht sogar einige Locals aufgespürt und sie über die Region ausgefragt.

Eine jede gut organisierte Klettergruppe muss einen Planer haben. Er ist absolut Gold wert, auch wenn er sich ab und zu über seine Gspänli aufregt, wenn diese mal wieder nicht zu 100% vorbereitet sind.


Stets ausgerüstet mit Topo: Der Planer.


Der Hallenkletterer

Er ist ein fanatischer Kletterer. Mindestens dreimal pro Woche hangelt er sich Routen hoch oder löst Boulderprobleme. Seit Jahren ist er voll dabei und klettert gut und gerne im siebten Grad. Technisch ist er einwandfrei unterwegs und seine Kraft ist bemerkenswert. Jedoch war er noch nie in seinem Leben an einem echten Felsen, denn er klettert ausschliesslich in der Halle.

Das macht er nicht mit Absicht, denn aus irgendwelchen Gründen hat ihn mal jemand an die Plastikgriffe mitgenommen, seit daher ist er vom Klettervirus infiziert. Warum er nie draussen war, weiss er selber nicht. Bis ihn jemand aus denselben Gründen motiviert, mal auf einen Ausflug an echten Fels mitzukommen. Dann kommt oft das grosse Tief.

Die 7b aus der Halle ist draussen doch etwas zu knackig. Und wo werden bitteschön die Hände platziert? Wie baut man eigentlich einen Stand und warum sind diese Routen hier plötzlich doppelt so lang?

Niemand darf jedoch den Hallenkletterer belächeln. Einerseits klettert er, ergo gehört er dazu. Andererseits gehört er zu einer Kletterspezies, die das Privileg hat, das erste Mal im Leben echten Fels an die Hände und unter die Füsse zu nehmen. Er hat diesen Moment noch vor sich – was würden wir wohl geben, wenn wir nochmals «das erste Mal» erleben dürften? 


Auch an Plastik lässt es sich bestens klettern.

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