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Fletschhorn Nordwand – Am Tor zu den 4000ern

Janic Cathomen, Dienstag, 01. März 2022

Ende Mai ist es im Tal schon Grün. Auf den Pässen liegen letzte Schneereste. Im Alpinen schmilzt er vor sich hin. Und im hochalpinen? Da ist die Tourensaison in vollem Gang! Vorausgesetzt, es gab den Winter durch genügend Niederschlag, entwickeln sich die oft eisigen Nordwände zum Guten. Sie tauen etwas auf und mit dem warmen Schneefall bleibt der Neuschnee besser kleben. Die Bedingungen zum Freeriden werden dann immer besser - und sicherer.

Der Winter 20/21 war ziemlich schneereich. Leider, wie so oft in den letzten Jahren, waren die Schneefälle regelmässig von stürmischen Winden begleitet. Viele Nordwände waren auch Anfangs Juni noch komplett vereist. Das Fletschhorn sah jedoch nicht schlecht aus. Nur im obersten Teil, kurz vor dem Ausstieg aus der Nordwand war ein kurzes Stück schneefrei. Wir entschieden uns deshalb nach einem Schneefall am 26. Mai das Fletschhorn über die Wienerroute - nach SAC Tourenportal S+ - anzupacken.

Von Graubünden führte uns der Weg über das Tessin nach Domodossola in Italien und von dort nach Simplon Dorf. Abfahrt in Flims gemütlich um 8:00 Uhr. Der Schnee war bereits bis auf 2000 Meter über Meer geschmolzen, weshalb wir sogar noch bis auf Rossbodustaful (1933 m) fahren und uns so wertvolle 400 Höhenmeter sparen konnten.


Tag 1: Rossbodustaful – Bivacco de Zen

Am Rossbodustaful hiess es dann: Sachen packen, Skier auf den Rucksack schnallen und die Skischuhe über den Rucksack binden. Obwohl ab der Alp Schnee lag, war der Kamm der Moräne, welche vom Gälli Egga nach Osten runterzieht, abgeblasen und bereits aper. Wir entschieden uns deshalb zu Fuss zu starten. Um ca. 13:00 Uhr liefen wir schwerbeladen los. Nach etwa 400 Höhenmetern war aber Schluss. Wir zogen die Skischuhe an und verstecken die normalen Schuhe vor dem Wind geschützt unter einem Stein. Der sowieso eher spaltenarme Griessernugletscherwar noch gut eingeschneit, weshalb wir auf das Anseilen verzichteten. So ging es weiter bis zu unserem Schlafplatz, dem Bivacco de Zen auf knapp 3000 Meter über Meer. Dieses erreichten wir etwa um 15:45 Uhr. Es blieben also noch ein paar Stunden, um gemütlich zu chillen und zu essen.

Das Bivacco de Zen kann ich empfehlen. Perfekter Berg-Luxus und ideale Grösse. Es wahrt die Integrität und die Schönheit der Umliegenden Berge perfekt. Die kleine Schachtel bietet Platz für 9 Personen. Decken und ein Gaskocher sind vorhanden. Leider funktionierte zweiterer bei uns nicht. Wir konnten uns also nicht mit Pasta verwöhnen und mussten unseren Proviant deswegen etwas rationieren.

Vom Bivak aus sahen wir zum ersten Mal in die Wand. Während wir bereits im Aufstieg schöne 15cm Pulver hatten, sah auch die Nordwand nicht allzu schlecht aus. Die letzten 100 Höhenmeter waren noch vereist und deshalb sicherlich noch etwas schwieriger. Doch die Vorzeichen standen gut. Wir wussten, dass es zu etwas Wind kommen würde.


Tag 2: Bivacco de Zen - Fletschhorn

Um Mitternacht wurde der Wind jedoch so stark, dass das ganze Biwak nur noch wackelte. Ein Blick auf die Messstationen in der Whiterisk App bestätigte unser Pech. Die nahgelegene Station zeigte gar den höchsten Wert der ganzen Schweiz an. Um 3:00 Uhr ging der Wecker. Wir steckten kurz die Köpfe zusammen und besprachen uns. Was waren unsere Optionen? Gehen? Nicht gehen? Gehen wir jetzt, haben wir aufgrund der Dunkelheit keine Möglichkeit, die Wand von weitem zu betrachten. Aus der Ferne lassen sich Triebschneetaschen jedoch sicherlich besser evaluieren, als wenn wir direkt in der Wand stehen. Wir einigten uns darauf, die Marschzeit um 2 Stunden nach hinten, auf 6:00, zu schieben. Zumindest sollte der Wind bis dann abflachen. Uns war bewusst, dass unsere Planung laufend evaluiert werden müsste. Und mit der späten Marschzeit könnte es knapp für den Gipfel werden. Doch eins nach dem anderen. Nach 2 weiteren Stunden Schlaf gings dann los. Begleitet wurden wir kurz darauf von einem wunderschönen Sonnenaufgang.

Gerade nach dem Bivak kommt es zu einer Traverse auf den Rossbodegletscher. In unserem Fall war sie gut zu meistern, jedoch kann sie bei eisigen Bedingungen mit den Tourenski mühsam werden, weil man schräg drinsteht. Diese Stelle darf aufgrund der östlichen Ausrichtung auch für den Rückweg nicht unterschätzt werden. Der Schnee bekommt dort schon früh relativ viel Sonne ab. Es lohnt sich, nach der Traverse aufgrund der Spalten eher hoch-zu-bleiben. Danach zieht es sich noch etwas über den eher flachen Gletscher vorbei an verschiedenen potenziellen Stellen für Spalten bis an den Bergschrund. Bis hierhin erfordert die Tour hochalpines Know-How, dennoch ist der Abschnitt gut machbar.

Kurz vor dem Bergschrund wurde dann von den Skiern auf die Steigeisen gewechselt und erstere wieder auf den Rücken gebunden. Etwas trinken, einen Snack essen und kurze Besprechung der Situation. Danach ging es weiter im Aufstieg. Was in der Nacht zu erwarten war, wurde uns leider bestätigt. Beinahe die ganze Schneeoberfläche war vom Wind gepresst und abgeblasen. Skifahren war sicher möglich, sicherlich jedoch nicht so, wie wir uns das erhofft haben. Meter für Meter ging es dem Ausstieg auf rund 3900 Meter über Meer entgegen. Um 9:30 Uhr befanden wir uns auf 3800 Metern. Nun kamen die letzten 100 Höhenmeter der Wand.

Wir wussten, dass wir aufgrund der späten Marschzeit sicherlich hier eine Entscheidung zur Weiterführung der Tour treffen mussten. Diese eisige Passage würde uns sicherlich nochmals etwas Zeit kosten. Danach müssen wir auch noch die Distanz und weitere 100 Höhenmeter auf den Gipfel miteinberechnen. Nicht zu vergessen, dass ein weiteres Mal von den Steigeisen auf die Skier gewechselt werden muss. Grundsätzlich alles nicht problematisch, wäre man nicht so spät unterwegs. Die Sonne steht in dieser Jahreszeit bereits hoch und scheint sehr stark. Wir mussten dies bereits eine Woche früher am Gwächtenhorn erleben, wo wir bei kälteren Temperaturen um etwa 10:15 Uhr Probleme mit einer Lawine hatten. Bis wir allein auf dem Gipfel sein würden, würde es nochmals etwa 1 Stunde dauern. Wir entschieden uns deswegen, an dieser Stelle kehrt zu machen, zumal unser Ziel sowieso in der Skiabfahrt der Wand lag und nicht auf dem Gipfel per se.


Abfahrt und Rückweg

Nachdem wir diese Entscheidung getroffen hatten, ging es erst richtig los. Steigeisen ausziehen und zusammen mit dem Pickel im/am Rucksack unterbringen. Bergski vorsichtig anziehen. Halbe Drehung und in den anderen Ski stehen. Bei knapp 60 Grad Neigung ist selbst das Anziehen der Ski nicht ganz einfach. Etwas trinken. Nun werden noch die letzten Infos ausgetauscht. Auch wenn der Schnee nicht sehr gut war, freuten wir uns trotzdem über die bevorstehende Abfahrt. Leider streikte uns dann auch noch die Drohne. Nicht schlimm, ein Video wäre trotzdem cool gewesen.

Kurz vor dem Drop in wird man dann meistens doch noch nervös. Dies nutze ich, um in den Flow zu kommen. Der Flow hilft mir, von der ersten Kurve an bereit zu sein. Ich möchte nicht losfahren und die ersten Kurven noch zum ‘Einfahren’ benötigen. Passiert dies, weiss ich, dass ich zu unkonzentriert bin. Wichtig während der ganzen Abfahrt ist, nach vorne zu arbeiten. Das mag diskursiv wirken, gibt jedoch viel Kontrolle zurück. Je grössere Kurven man fährt, desto schneller wird man und muss den Ski in der Schwungauslösung weniger stark entlasten. Während bei Jump-Turns noch gesprungen wird, geschieht bei weiten Kurven viel über das Verlagern des Schwerpunktes durch Kippen der Körperachse. Dabei muss jedoch beachtet werden, das stetig genügend Druck auf dem Talski vorhanden ist. Schwung an Schwung kommt man so dem Bergschrund näher.

Innert weniger Minuten waren wir wieder unten am Bergschrund angelangt. Von dort ging es zurück über den Gletscher zum Biwak. Wir packten unsere Sachen, welche wir dort liessen, sassen noch etwas in der Sonne und verabschiedeten uns danach zurück in Richtung Parkplatz. Wir fanden eine Variante, bei der es möglich war, bis zum Auto auf den Skiern herunterzufahren. Fast vergassen wir dabei unsere normalen Schuhe wieder mitzunehmen. Um etwa 12:00 Uhr waren wir dann zurück beim Parkplatz. Nachdem wir aus den stinkenden Schuhen und verschwitzen Kleidern draussen waren, reüssierten wir unsere Tour.

Alles ging gut. Wir kamen ohne Probleme zurück zum Auto. Dies spricht für die getroffenen Entscheidungen. Der Wind, vor allem in dieser Stärke, hat unsere Planung sowie die Schneequalität in der Nordwand sicherlich beeinflusst. Auch wenn es etwas nagt, dass wir nicht auf dem Gipfel waren, war es eine gute Entscheidung erst bei Tageslicht zu starten. Andere hätten den Push zum Gipfel vielleicht gewagt. Wir wurden durch das Ereignis in der vorhergehenden Woche sicherlich auch auf einer mentalen Ebene zu mehr Sicherheit und weniger Aussicht sowie technischer Schwierigkeit bewogen. Es wird sich sicherlich eine nächste Chance bieten.

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