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Interview mit Sarah Höfflin: «Die Niederlagen haben mich am meisten geformt.»

Jürg Buschor, Dienstag, 07. November 2023

Eine geringe Frustrationstoleranz und ein grosser Ehrgeiz als Voraussetzung für Olympia-Gold? Nicht nur – für die Schweizer Freestyle-Skierin Sarah Höfflin steht der Spass immer im Mittelpunkt. Auch dann, wenn sie in ihrer spärlichen Freizeit auf Tourenski wechselt.

Was wissen die wenigsten über Sarah Höfflin?

Oh, ich bin eine sehr offene Person und habe das Gefühl, dass alles schon geschrieben oder gesagt ist über mich. Aber vielleicht dies: Ich machte meinen ersten Rückwärtssalto auf einer künstlichen Skipiste in Cardiff, um einen Typen zu beeindrucken, auf den ich ein Auge geworfen hatte. Das war quasi der Startschuss zu meiner Slopestyle-Karriere (lacht).

Welche Eigenschaft schätzen Familie und Freunde an dir?

Ich denke, die Menschen um mich herum mögen, wie frei ich bin. Wie sehr ich das Leben geniesse und versuche, das Beste aus jedem einzelnen Tag zu machen. Ich bin grundsätzlich ein optimistischer und glücklicher Mensch.

Inspiriert das andere Menschen?

Ich denke schon. Und in sportlicher Hinsicht die Tatsache, dass ich meine Karriere so spät gestartet habe. Mit 24 erlitt ich einen Kreuzbandriss und konnte ein Jahr danach den Gesamtweltcup gewinnen, im Folgejahr die olympische Goldmedaille im Slopestyle-Wettbewerb in Pyeongchang. Das zeigt, dass es nie zu spät ist …

Kannst du auch nerven?

Ich nerve meinen Freund in verschiedenster Weise. Zum Beispiel mit meiner geringen Frustrationstoleranz, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Insbesondere natürlich auf Ski – da bin ich sehr ehrgeizig.



«Durch Scheitern wird man besser, denn Niederlagen sind die Basis für den späteren Erfolg», so das Credo der erfolgreichen Schweizer Athletin.


Deine Eltern kommen aus der Schweiz und Neuseeland, du bist in der Schweiz und in England aufgewachsen, wohnst heute aber in Chamonix – wo fühlst du dich daheim?

Oh, diese Frage kann ich nur schwer beantworten. Wahrscheinlich in England, weil ich dort die Jahre verbracht habe, die mich am meisten prägten.

Dann die vielleicht einfachere Frage: Wo fühlst du dich glücklich?

Definitiv in Chamonix! Hier habe ich zusammen mit meinem Freund eine kleine Wohnung mit wunderschönem Ausblick auf die spektakulären Berge. Nach all den Jahren, in denen ich gefühlt immer unterwegs war, bin ich jetzt endlich angekommen.

Ist Glück messbar? Jedenfalls – was hat dich dazu bewogen, Neurowissenschaften zu studieren?

Ich wollte schon immer Medizin studieren. Und obwohl ich sehr hart dafür gearbeitet hatte, wurde ich an keiner medizinischen Fakultät akzeptiert. Und weil mich die Neurowissenschaften ebenfalls interessierten, war das dann die logische Alternative.

In welcher Art und Weise – wenn überhaupt – hat dir dieses Studium in deiner sportlichen Karriere geholfen?

Indem es mir geholfen hat, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. An der Universität kam ich erstmals mit der Schneesportszene in Kontakt. Über Cardiff Snowsports lernte ich viele Freunde kennen, die mich für Freestyle- Skiing begeisterten. Und irgendwann sagte ich mir: Diese Leute wissen viel Skifahren. Aber sollte nicht ich als Schweizerin noch besser darin sein?


Der Wettkampfkalender ist während der Saison eng getaktet. Umso mehr geniesst Sarah Höfflin jede Skitour.


Leicht kann an Slopestyle- und Big- Air-Wettbewerben der Eindruck entstehen, dass du furchtlos seist. Wovor hast du Angst?

Versagen. Und das hat dazu geführt, dass ich keine Langfristpläne mehr mache. Vielleicht auch aus den Erfahrungen – nicht an der medizinischen Fakultät akzeptiert zu werden, der Kreuzbandriss, der schon so manche Karriere beendet hat. Ich versuche, meine Gedanken einfach zu halten, kurzfristig zu planen. Es ist für mich einfacher, auf kleine Ziele hinzuarbeiten denn auf grosse Ziele, von denen ich nicht sicher bin, ob ich sie jemals erreichen kann. Für vieles braucht es schlicht und einfach auch Glück.

Glaubst du an Zufall oder Bestimmung?

Ja, zumindest teilweise. Es gibt Zufälle, aber man ist auch für sein eigenes Glück verantwortlich. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Aber man muss sich selber in die Situation bringen, das Glück greifen zu können.

Du hast deine Karriere einmal als Achterbahnfahrt der Niederlagen, des Glücks und des Erfolgs bezeichnet. Wofür bist du am meisten dankbar?

Die Niederlagen haben mich am meisten geformt, indem sie mich widerstandsfähig gemacht haben. Durch Scheitern wird man besser, denn Niederlagen sind die Basis für den späteren Erfolg.

Welcher Moment in deiner Karriere sticht heraus?

Definitiv der Gewinn der Goldmedaille im olympischen Slopestyle-Event. Das hat mein Leben am meisten verändert. Aber es gab natürlich noch jede Menge Schlüsselmomente, die mein Leben in die eine oder andere Richtung gelenkt haben. Manchmal sind das Begegnungen mit Menschen. In meiner zweiten Skisaison traf ich beispielsweise jemanden, der zu mir sagte: Wenn du weiter so Ski fährst, kannst du in zwei Jahren Profi sein. Das war vielleicht völlig vermessen, aber ich glaubte daran und machte daraus ein persönliches Ziel.


Motiviert geht die Athletin nicht nur in ihrer Kerndisziplin zu Werke – Höfflin engagiert sich als Ambassadorin der Organisation Protect our Winters POW und versucht so auf die Konsequenzen des Klimawandels hinzuweisen.


In einem TED Talk hast du einmal gesagt, dass die Reise endet, wenn man einen grossen Wettbewerb gewinnt, weil es nichts mehr gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt …

Das Phänomen der Post-Olympia-Depression ist bekannt. Vielen Athletinnen und Athleten fehlt danach das Ziel, auf das sie hinarbeiten können. Bei mir war das etwas anders – ich gewann so ziemlich alles in den ersten zwei Jahren meiner Karriere. Heute setze ich mir keine Titel und Medaillen mehr zum Ziel. Denn ob ich die gewinne, liegt nicht in meinen Händen. Mein Ziel ist ein perfekter Lauf – dafür bin ich zu 100 % selber verantwortlich.

Stichwort Verantwortung – du bist Ambassadorin der NGO Protect our Winters. Gibt es da kein Glaubwürdigkeitsproblem mit all deinen Flugreisen?

Natürlich kann man mit dem Finger auf mich zeigen – ich fliege oft, bin keine Vegetarierin. Als Athletin habe ich aber eine hohe Sichtbarkeit auf Social Media und ich fühle mich verpflichtet, auf diesen Plattformen die richtigen Botschaften zu teilen. Neben meinen Reisen als Athletin führe ich ein sehr bewusstes Leben. Ich sehe das so: Niemand ist perfekt, wichtig ist, dass jeder nach seinen Möglichkeiten einen Effort erbringt.

Zum Zeitpunkt des Gewinns der Olympiamedaille hattest du keinen Bekleidungssponsor.

Das hat sich ziemlich schnell geändert (lacht). Aber ich repariere meine Bekleidung auch heute noch. Und am Ende der Saison gebe ich die Sachen weg. Letzte Saison ging alles an ein Waisenhaus in Lwiw, das von der Mutter einer ukrainischen Freundin geführt wird. Sie hat mir einige Fotos geschickt von Kindern, die meine Sachen trugen – das war ehrlich gesagt ein sehr schöner und befriedigender Moment.

 

«Man muss sich selber in die Situation bringen, das Glück greifen zu können.» Im Entkorken von Champagner- Flaschen ist Sarah Höfflin Expertin. Den grössten Erfolg feierte sie 2018 in Pyeongchang mit dem Gewinn der olympischen Goldmedaille.

 

Du gehst in deiner Freizeit auch auf Skitouren.

Ja, sehr gerne sogar. Leider kommt das während der Wettkampfsaison immer etwas zu kurz. Sollte ich allerdings künftig weniger oder gar keine Wettkämpfe mehr bestreiten, werde ich bestimmt öfter auf Tour sein.

Was schätzt du daran?

Das Skitouren ist ein perfekter Ausgleich zum Wettkampfsport. Ich liebe die Natur und das Draussensein – hier kann ich abschalten und mich erholen. Und ja, natürlich liebe ich auch das Skifahren im Powder.

Im Sommer hast du mehr Zeit, zum Beispiel zum Sportklettern.

Das stimmt, allerdings habe ich da einen gesunden Respekt. Ich bin über meinen Freund zum Sportklettern gekommen und schätze es nach wie vor, wenn er vorsteigt (lacht).

Du hast einmal gesagt, dass du absolut keine Zukunftspläne hast. Hat sich daran etwas geändert?

Das ist mein Glück und Problem zugleich: Ich habe so viele Ideen, dass ich meine Meinung ständig ändere. Vor einem Jahr habe ich mich mit dem Gedanken beschäftigt, einen Master in Neuroscience zu machen. Dann kam aber eine neue Rolle als Athletenverteterin beim Skiverband FIS dazu. Die passt sehr gut zu mir, denn ich möchte, dass die Dinge fair sind und alle gehört werden. Insbesondere die jüngeren Athletinnen und Athleten sind oft unterrepräsentiert. Da ich zu den meisten Menschen einen einfachen Zugang finde und empathisch bin, passt diese Rolle gut zu mir. Ich könnte mir aber auch eine Aufgabe im Bereich Anti Doping vorstellen oder als Ski Coach …

Wir wünschen viel Erfolg – bei was auch immer …


Sarah Höfflin


Sarah Höfflin war zwölf Jahre alt, als sie nach der Trennung ihrer Eltern vom Kanton Genf ins englische Tewkesbury übersiedelte. Sie studierte an der Cardiff University Neurowissenschaften wo sie auch zum Freeskiing kam. Ihre einzige Trainingsmöglichkeit war ein Indoor-Skipark in Manchester. Während eines Zwischenjahres trainierte Höfflin intensiv in den Savoyer Alpen und bestritt ab 2014 auch Wettkämpfe. Eher zufällig wurde der Freestyle-Verantwortliche von Swiss Ski auf die junge Athletin aufmerksam. Beeindruckt von ihrem Können integrierte er sie in das Nationalteam. Die grössten Erfolge feierte Sarah Höfflin 2018 mit dem Gewinn der Slopestyle Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang sowie dem Big Air Contest der X-Games in Aspen. Die 32-Jährige lebt mittlerweile im französischen Chamonix und geniesst dort nicht nur das Bergpanorama, sondern auch die Möglichkeit, zum Wettkampf-Ausgleich auf Skitour oder zum Klettern zu gehen.

 

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