Über Kletterschuhe könnte man stundenlang philosophieren – allein schon, weil es mittlerweile Hunderte Modelle gibt. Mit unserem Grundwissen von Asymmetrie bis Zwischensohle treffen Sie die richtige Wahl.
Olympische Spiele 2024 in Paris, Finale: Janja Garnbret streckt ihr rechtes Bein, der Fuss angelt einen winzigen Tritt und sie zieht ihr Gewicht ohne Mühe an die Wand. Später hängt sie, als wäre sie an der Wand festgewachsen, mit der Ferse in einer gros-
sen Griffschale, schüttelt die Arme, wechselt in einen Toehook und zieht weiter. Die besten Klettererinnen und Kletterer nutzen ihre Füsse wie zusätzliche Hände. Sie ziehen, schieben, setzen jeden Teil des Schuhs ein, um Kraft auf winzige Tritte und flache Volumen zu übertragen, um das Gewicht von den Armen zu nehmen.
Magischer Gummi
Warum halten Kletterschuhe selbst auf winzigen Tritten? Das Geheimnis liegt in der speziellen Gummimischung, deren Rezeptur die Hersteller wie ihren Augapfel hüten. Namhafte Fabrikanten sind hier Vibram (XS Grip und XS Edge) oder Evolv (Trax-SAS), die bei zahlreichen Kletterschuhen an den Sohlen zu finden sind. Um gute Haftung auf einem Tritt zu erzeugen, muss der Gummi exakt die richtige Mischung aus «Elastizität» und «Viskosität» aufweisen. Nur dann kann die Interaktion zwischen Schuh und Struktur funktionieren. Wie Honig «fliesst» der Gummi in die kleinsten Vertiefungen im Felsen oder auf einem Kunstgriff und erzeugt so eine maximal grosse Kontaktfläche. Beim Weiterklettern schnellt der Gummi in seine Form zurück, er «erholt» sich, um sich auf dem nächsten Tritt gleich wieder breit zu machen. Die Gummimischungen sind so angelegt, dass der Schuh in einem möglichst breiten Temperaturbereich gut funktioniert. Bei zu niedrigen Temperaturen würde normaler Gummi hart werden, und bei zu hohen Temperaturen zu weich und weniger haltbar. Dann «schmiert» man förmlich ab, was jeder kennt, der schon einmal im Hochsommer beim Plattenklettern war. Je nach Einsatzgebiet gibt es unterschiedlich harte Gummimischungen: Besonders weiche Mischungen glänzen in der Boulderhalle und besonders harte geben Halt an senkrechter Wandkletterei mit kleinen Trittchen.
Kleingriffige Wandkletterei:
Hier glänzen härtere
Schuhe, die spitz zulaufen.
Christopher Igel in «Le Cirque
du Sole» 8b.
Herstellung und Materialien
Die Herstellung von Kletterschuhen gehört zur hohen Kunst des Schuhmachens. Viele Schuhhersteller produzieren in Europa: Scarpa und La Sportiva in Italien, EB in Frankreich, Tenaya in Spanien. In Handarbeit wird zunächst der obere Teil der Schuhe genäht; hier kommen Naturleder, Kunstleder, Mikrofasermaterialien und Neopren zum Einsatz. Danach werden die Oberteile auf den jeweiligen Leisten gespannt und die Sohle von unten angeklebt. Bei fast allen Schuhen kommt noch eine Zwischensohle für zusätzliche Stabilität zum Einsatz. Diese kann sich über das gesamte Fussbett erstrecken und hohe Stabilität erzeugen, oder sie wird nur in bestimmten Bereichen eingebaut, um punktuell mehr Halt und Kraftübertragung zu bieten, zum Beispiel unter den Zehen. Hier lohnt es sich, die Beschreibungen der einzelnen Schuhe zu studieren!
Bei Modellen für fortgeschrittene Kletterer bekommt der Schuh bei der Herstellung eine sogenannte «Vorspannung» verpasst. Dazu wird die Ferse über Gummi-Einsätze näher Richtung Fussspitze gezogen, um so eine Spannung zwischen Zehen und Ferse zu erzeugen. Sinn dahinter ist, dass man mit weniger Anstrengung kleinere Tritte «krallen» kann, sie sozusagen zu sich herzieht, um das Gewicht optimal auf den Tritt zu übertragen.
Slipper, Klett oder Schnürer
Es gibt drei Arten von Schliesssystemen bei Kletterfinken, manche auch in Kombination, jede mit ihren eigenen Vorzügen. Schnürschuhe lassen sich präzise an den Fuss anpassen, je nach Bedarf fest oder locker, je nach Tagesform. Sie sind besonders beim Felsklettern geschätzt. Klettverschlüsse bieten schnellen Zugang, besonders praktisch in der Halle, wenn man zwischen den Boulderversuchen die Schuhe ausziehen muss. Zwei Klettverschlüsse sorgen für gute Anpassung in der Weite. Der Slipper geht noch schneller. Er ist wie eine Socke, elastische Einsätze an der Öffnung erleichtern das Hineinschlüpfen. Manche haben einen Klett zur Fixierung. Doch der Slipper muss von Anfang an perfekt sitzen – die Weite lässt sich kaum anpassen.
Typisch indoor:
Grosse Volumen, hier
punkten weiche, flexible
Kletterschuhe.
Katzenpfötchen und Adlerkrallen
Kletterschuhe kommen in allen Formen und Härtegraden. Von flexiblen Ballettschuhen bis zu steinharten Holzbrettern, die einem fast das Gefühl geben, man könnte einen Nagel in die Wand schlagen. Auch die Zwischensohlen variieren, sind mal härter, mal weicher, um den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden. Zuerst geht es um die Wahl zwischen einer durchgehenden und einer geteilten Sohle. Der Unterschied liegt in der Flexibilität, der Steifigkeit und der Kraftübertragung auf den Fuss. Jedes Design bringt seine eigenen Vorteile mit.
Eine durchgehende Sohle ist eine einteilige Gummisohle, die den gesamten Schuh vom Vorderfuss bis zur Ferse bedeckt. Sie sorgt für eine effiziente Kraftübertragung, da der Fuss gleichmässig unterstützt wird, was bei kleinen Tritten von Vorteil ist. Eine harte, durchgehende Sohle unterstützt den Fuss dabei, die Spannung zu halten und die Kraft auf den Tritt zu übertragen. Je härter der Gummi, desto langlebiger und widerstandsfähiger sind die Schuhe. Nachteilig ist, dass sie weniger flexibel als eine geteilte Sohle ist, was auch zu weniger Gefühl auf den Tritten führt.
Eine geteilte Sohle besteht aus mehreren Teilen mit jeweils eigenen Funktionen. Oft splitten die Hersteller die Sohle in eine stabile Zone unter dem Vorderfuss und eine flexible Zone im Mittelfuss oder an der Ferse. Letztere bietet mehr Flexibilität, was besonders bei dynamischen Bewegungen oder beim Bouldern von Vorteil ist, da sich der Schuh besser an den Fuss anpasst. Im Überhang kann man mit den Zehen besser «krallen» und sich auf grossen Tritten stabiler abstützen. Die Sohle passt sich verschiedenen Trittarten und Kletterbewegungen an und ahmt die natürliche Fussbiegung nach, was sich bei grossen, flächigen Hallentritten positiv bemerkbar macht. Nachteilig ist, dass die Unterbrechung der Sohle die Kraftübertragung und Stabilität auf kleinen Tritten oder Kanten verringern kann, da der Fuss weniger direkt und gleichmässig unterstützt wird als bei einer durchgehenden Sohle.
vlnr: Flach ohne Vorspannung, flach mit Vorspannung, Downturn und Vorspannung
Downturn und Asymmetrie
Downturn und Asymmetrie sind zwei Konstruktionsmerkmale, die Kletterschuhe leistungsorientierter machen, aber den Komfort verringern. Ein Downturn biegt die Zehen nach unten, wodurch das Gewicht stärker auf den Vorderfuss und die Zehen verlagert wird. Dies steigert die Präzision auf kleinen Tritten, reduziert jedoch den Komfort. Asymmetrie bedeutet, dass der Schuh eine schiefe Ausrichtung der Zehen aufweist, wodurch der Druck auf den grossen Zeh konzentriert und die Kraftübertragung auf präzise Tritte verbessert wird. Diese Merkmale sind besonders beim leistungsorientierten Klettern und Bouldern entscheidend, da sie mehr Kontrolle und Präzision bieten. Allerdings werden die Füsse stärker in den Schuh gepresst und können weniger «ausweichen»: Oft muss man diese Schuhe bei längeren Sessions zwischendurch ausziehen, da sie weniger bequem sind. Die Wahl von Kletterfinken mit Downturn und/oder Asymmetrie ist also durchaus eine Entscheidung, ob man in der Komfortzone bleibt oder seine Kletterfähigkeiten weiterentwickelt.
vlnr: Asymmetrie, Downturn, Vorspannung
Neubesohlung
Marken legen Wert auf gute Verarbeitung, damit die Kletterschuhe lange halten. Wie bei einem Velo-Pneu hält ein Kletterfinken nur eine bestimmte Strecke, selbst bei erstklassiger Qualität und hohem Preis. Wird viel geklettert oder die Technik ist nicht sauber, ist der Schuh schnell abgenutzt. Doch keine Sorge: Kletterschuhe kann man in den meisten Fällen wiederbesohlen. Bei Bächli Bergsport nehmen wir jedes Paar zur Neubesohlung entgegen.
Den Traumschuh finden
Jeder Fuss ist anders! Es lohnt sich, so lange nach dem passenden Kletterschuh zu suchen, bis er sitzt. Hier gelten jedoch andere Regeln als beim Kauf eines Wanderschuhs: Ein Kletterschuh wird nie so bequem wie ein Sneaker, aber um auf kleinen Tritten zu stehen, muss der Schuh eng anliegen. Die Zehen sollten vorne anstossen, und im Spann- sowie Fersenbereich darf keine Luft sein. Schmerzen sollten jedoch nicht auftreten. Wenn der Schuh zu gross ist, rutscht man ab und verliert die Kraftübertragung. Probieren Sie mehrere Modelle aus. Für Schmalfüsse bieten viele Marken speziell angepasste Frauenmodelle mit engerer Ferse, oft als «LV» für Low Volume gekennzeichnet. Beginnen Sie mit Ihrer Strassenschuhgrösse und testen Sie, bis der Schuh rundum eng sitzt, aber die Zehen leicht aufgestellt sind. Bächli-Filialen bieten kleine Kletterwände, an denen Sie die Schuhe testen können. Ein Tipp: Tragen Sie den Schuh fünf Minuten lang, ziehen Sie ihn aus und warten eine Minute. Fühlt er sich danach perfekt an, haben Sie den richtigen Schuh gefunden!
Nicht nur bei Profis, auch bei ambitionierten
Vielklettererinnen ist es
ähnlich wie bei Powderfreaks gang
und gäbe, mehrere Modelle an Kletterschuhen
zur Auswahl zu haben – vom
brettharten Risskletterschuh bis zum
butterweichen Hallen-Boulderschuh.
Denn die Modelle sind inzwischen so
unterschiedlich, dass jedes in einem
Bereich, in einer Disziplin besonders
glänzen kann.
Bouldern Indoor
In Hallen gibt es grosse Tritte und Volumen. Ein weicher, flexibler Schuh mit anliegender Ferse und Toe Hook Patch hilft, besonders bei Heelhooks und Toe-
hooks. Ein Downturn und Asymmetrie kommen bei steilen Überhängen ins Spiel, sind aber bei senkrechten Wänden weniger nötig.
Für die etwas gutmütigeren Wände
um die Sulzfluh nach St. Antönien und
weiter nach Partnun (Asphaltstrasse),
hier gibt es zwei Berghotels für Übernachtung
und Einkehr nach der Tour.
Klettern Indoor
Kleine Tritte erfordern einen flexiblen Schuh mit mehr Unterstützung im Vorderfuss. Ein gerader Schuh reicht für Einsteiger im Senkrechten, während Fortgeschrittene im Überhang von einem Schuh mit Downturn profitieren.
Klettern Outdoor
Für senkrechte Wände und kleine Tritte sind harte, stabile Schuhe ideal. An löchrigem Konglomerat bieten spitze Schuhe mit Downturn und Asymmetrie Präzision. Bei überhängendem Felsen mit grossen Griffen sind weiche Schuhe ausreichend.
Bouldern Outdoor
Hier gibt es die grösste Bandbreite. Für schwere Projekte sind die kleinsten Tritte entscheidend. Ein aggressiver Schuh sorgt für Präzision. An Platten und Henkelparaden hingegen leisten flache, bequeme Schuhe gute Dienste.
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