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Mit Leichtigkeit in den Sommer

Michael Ziege, Mittwoch, 13. April 2022

So wenig wie möglich, aber nicht weniger. In den Bergen unterwegs sein, bedeutet, möglichst nur das Essenzielle zu packen – für Komfort und Sicherheit. Aus dieser logischen Idee ist mit der Zeit eine eigene Disziplin entstanden: Das Ultralight-Trekking. Dabei wird darauf geachtet, jedes überflüssige Gramm zu eliminieren. Michael Ziege ist der Philosophie voll und ganz verfallen und teilt mit uns seine Gedanken zur Ultralight-Philosophie.

Vor einigen Jahren war ich aufgrund einer Fussverletzung gezwungen, meine Bergaktivitäten eine Weile lang zu pausieren und mein damaliges Outdoor-Equipment in die Ecke zu stellen. Als ich wieder anfing, mich in den Alpen zu bewegen, hatte ich den Fuss zu schonen und die Ausrüstung musste zwingend leichter werden. Ein Freund erzählte mir damals von der Thru-Hiking-Bewegung rund um den Pacific Crest Trail, einem Weitwanderweg, der in den USA entlang der Pazifikküste verläuft. Diese Community verschreibt sich der Bewanderung von längeren Distanzen ohne nennenswerte Stopps in zivilisatorischen Gefilden. Rund um diese Gemeinschaft wird viel und mit Enthusiasmus an der Leichtigkeit des Gewichtes geschraubt und exzessiv mit neuen Materialien experimentiert.

Meine Neugier war geweckt und die Recherchen und das Ausprobieren begannen. Nach und nach wurde mir immer mehr bewusst, dass Daune nicht gleich Daune ist und jedes Gewebe seine Vor- und Nachteile hat. Der Umgang mit modernen Textilien erfordert einiges an Know-How, Überraschungen gehören dazu. Am Limit der Stabilität gibt es schnell mal Verschleisserscheinungen. Beispielsweise Abriebe beim Rucksack, Es gilt, diese frühzeitig zu erkennen oder ganz zu vermeiden.

Ultralight bedeutet vor allem mehr Freiheit bei der Planung und Durchführung von Touren. Es ist möglich, in einer unbesiedelten Gegend mehrere Tage unterwegs zu sein, ohne vom Gewicht erdrückt zu werden. Es gilt aber auch abzuwägen, welche Bedingungen einen ungefähr erwarten, da beim Ultralight-Trekking keine grossen Reserven eingerechnet werden können. So wiegt mein leicht modifiziertes Pocket-Tarp in Hexamid-Fläche - von der einen Seite gut geschützt, am Eingang relativ offen - zusammen mit den 8 Titanium-Sticks und der Stange aus Carbon gerade mal 230 Gramm. Möchte ich in eher exponierten, windigen Verhältnissen übernachten, würde ich hingegen auf das altbewährte, normalflächige Tarp zurückgreifen, das sich einfacher abspannen lässt, jedoch doppelt so schwer ist.

Ultralight wird jedoch nicht nur durch die Verwendung leichter Materialien erreicht, sondern auch durch Verzicht und Mehrfachverwendung. Dabei zeigen Erfahrungswerte den Spielraum. Bin ich nur ein verlängertes Wochenende unterwegs, darf der Feldstecher mitkommen, ist es fast eine Woche, muss aller Luxus zu Hause bleiben und es wird nur eingepackt, was wirklich direkt zur Fortbewegung und zum Aufenthalt im Freien gebraucht wird. Die ganzen Überlegungen haben dabei mitunter spielerische Aspekte. Die Herausforderung im Wandergrüppchen ist dabei, die anderen Mit-Trekker im Leichtgepäck zu unterbieten.

Der Prozess bis zur leichten Ausrüstung kann langwierig sein, er ist aber mehr oder weniger einmalig. Wenn die Grundüberlegungen gemacht sind und die Basisausrüstung steht, ist der Aufwand in der Anwendung kleiner, gerade deshalb, weil an weniger Material gedacht werden muss. Dieses Loslassen bedeutet Freiheit.


Zielorientiert packen, aber locker bleiben

Ausrüstungsgegenstände nicht nur für einen Verwendungszweck einzusetzen, ist eines der erfolgreichen Rezepte von erfahrenen Ultralight-Wandernden. Bei der Mehrfachverwendung von Ausrüstungsgegenständen sind keine Grenzen gesetzt und der phantasievolle Umgang damit kann sehr spielerisch sein. So ist mein 300 Gramm schwerer Rucksack auch nur deshalb so leicht, weil das Rückenpolster aus meiner Iso-Schlafmatte besteht. Alle Kleidungsstücke, die dabei sind, sind auch Teil des Schlafsystems. Ganz nach der Devise «hast du in der kältesten Nacht nicht alle Klamotten im Schlafsack angehabt, hattest du zu viel davon dabei». Dieser Grundgedanke kann übrigens auch aufs Thema Essen ausgeweitet werden.


Sowieso sind Ideenreichtum und Austausch bei vielen Ultralight-Überlegungen wichtiger als das verbissene Grammreduzieren. Immer schön locker bleiben. Denn es kann schon mal vorkommen, dass einem von Freunden und Freundinnen der Status des Ultralight-Vorbildes abgesprochen wird, weil man seit neuestem vorfabrizierte belegte Brötchen anstatt nur Knäckebrot als Picknick eingepackt hat.

Leichte Materialien und weniger Gepäck ziehen einen regelrecht kaskadierenden Gewichtsschwund nach sich. Sind weniger Kilo im Rucksack, kann auch dieser selbst aus leichterem Material hergestellt sein. Ist das Gewicht auf dem Rücken gesamthaft leichter, sind zur Schonung der Gelenke allenfalls keine Trekking-Stöcke mehr nötig und die Schuhe können ebenfalls leichter gebaut sein. Ihre Stützfunktion ist nicht mehr so wichtig und es reichen Trailrunningschuhe mit 340 Gramm pro Paar. Plötzlich findet man sich in ganz neuen Gewichtsdimensionen wieder.


Backpacking-Calculator

Bei Rucksack, Tarp, Iso-Schlafmatte und Schlafsack, den sogenannten "Big 4", kann am besten durch Verwendung von leichten Materialien an Gewicht gespart werden. Bei allen anderen, kleineren Gegenständen spielt die Summe aller Einzelteile eine Rolle und man spart am besten durch Weglassen oder Mehrfachverwendung. Wenn man ein Traggewicht von 6 Kilogramm für einen Vier-Tages-Tripp mit Essen aber ohne Wasser erreichen möchte, geht es nicht ohne Waage. Auch kleine Massen summieren sich irgendwann merklich. Natürlich kann schon vor dem Kauf mit einer Tabelle das Endgewicht simuliert werden, damit man dann beim Wägen keine Überraschungen erlebt.


Kleider und Schuhe

Gemäss Zwiebelprinzip trage ich als unterste Schicht ein Feuchtigkeit-transportierendes Shirt, dann kommen sukzessive je nach Temperatur ein Merino-Leibchen, ein dünner Faserpulli, ein Daunenpullover und gegen den Wind eine leichte Softshell dazu. Vor Regen schützt mich eine atmungsaktive, dreilagige Regenjacke mit einer wasserdichten, dampfdurchlässigen Membran. Diese bringt 160 Gramm auf die Waage. Neben der Wanderhose kommt auch eine leichte Regenhose aus demselben Material wie die Jacke mit. Bis auf die Wandersocken ist jedes Kleidungsstück einmalig vorhanden. Ausser der Regenkleidung sind alle Kleidungsstücke Teil des Schlafsystems und werden regulativ verwendet.

Bei Drei-Saison-Wanderungen habe ich einen Daunenpullover dabei. Am rigorosesten abgebaut habe ich beim Schuhwerk. Was mal mit robusten Wanderschuhen an den Füssen begann, sind mittlerweile leichte Schuhe bestehend aus einer Vibram-Sohle und einem Mesh aus Polyurethan. Wenn es regnet oder im nassen Gras werden die Füsse schnell nass, sobald die Sonne wieder scheint, trocknet das Mesh-Material jedoch im Nu.


Schlafen

Um einen leichten Unterschlupf in Regennächten dabei zu haben, kommt eigentlich nur ein Tarp in Frage. Das sind meist rechteckige Planen mit einem Grundriss von 250 bis 300 Zentimeter Länge sowie 120 bis 150 Zentimeter Breite für eine Person. Für zwei Personen knapp doppelt so breit. Das Material besteht meist aus wasserfestem Rip-Stop-Nylon, ist leicht elastisch und kann gut gegen den Wind abgespannt werden. Zum Aufstellen werden normalerweise 8 Sticks aus Titan und 2 Stangen, bestehend aus umfunktionierten Trekking-Stöcken, benötigt. Ein leichtes Tarp ist rund 300 Gramm schwer. Alternativ gibt es auch Tarps aus Dyneema Composite Fabric. Das Material ist sehr widerstandsfähig. Die Tarps aus diesem Material sind zwar sehr leicht, aber weniger gut gegen Wind abspannbar, da das Textil kaum elastisch ist.


Als Schlafsack tut es ein leichter Sommerschlafsack, mit der Möglichkeit, für den 3-Saison-Betrieb das Schlafsystem durch Daunenpullover und gegebenenfalls Daunenhosen zu ergänzen. Damit bei starkem Regen seitliches Spritzwasser nicht den Schlafsack feucht werden lässt, verwende ich einen atmungsaktiven Biwaksack. Gesamtgewicht: 800g.


Essen

Nur weil mit leichtem Gepäck gewandert wird, heisst das natürlich nicht, dass abends keine warme Mahlzeit in der Natur genossen werden darf. Als Heizquelle kommt ein aus zwei ineinandergesteckten, konischen Titaniumhüllen bestehender Holzkocher zum Einsatz, der mit kleinen Holzstücken gefüttert wird. Diese werden im Kocher durch den erzeugten Luftstrom vollständig bis zur weissen Asche verbrannt und ergeben eine grosse Hitze. Ähnlich wie in einem Hochofen. Verwertbare Holzreste findet man fast überall, selbst oberhalb der Waldgrenze.

Auf dem Weg gefundene Pilze können das Essen, das meistens Pasta oder Reis, Pesto und Käse besteht, gut ergänzen. Wenn ich zu Hause Musse habe, verwandle ich mittels Einkochen und anschliessendem Trocknen zwei Liter Tomatensugo mit Basilikum in 200 Gramm "Tomatenleder". Dieses kann tiefgekühlt in kleinen Stücken lange aufbewahrt und bei Bedarf auf Tour in kochendem Wasser wieder reversibel in Sugo zurückverwandelt werden. 50 Gram davon ergeben Sugo für zwei Nachtessen. Zum Frühstück gibt es Müesli mit aufgelöstem Vollmilchpulver. Da sind die Geschmacksqualitäten sehr unterschiedlich, ausprobieren lohnt sich. Dazu gibt es getrocknete oder frisch auf dem Weg gepflückte Beeren. Gewicht: 150g. Ein perfektes Rührei zur Abwechslung gibt es in Form von Volleipulver für 12 Gramm.


Karten und Navigation

Natürlich kann auch hier Gewicht gespart werden. Zur Orientierung verwende ich eine selbst entwickelte Android-App, basierend auf den Karten von Swisstopo. Die App benötigt kein Internet und das GPS verbindet sich lediglich sporadisch, meistens nur für die erste Ortung, mit den Satelliten. Somit reicht eine Akkuladung für vier Tage. Adapter und Powerbank werden überflüssig. Vier Tage Flugmodus – herrlich. Als Backup habe ich dennoch einen Kartenausschnitt auf A4-Papier dabei.


Infos

Das Internet ist voll von einschlägigen Hinweisen, wie Ultralight-Wandern praktiziert werden kann. Wie bei vielen anderen Themen kann man sich jedoch schnell darin verlieren. Deshalb hier einige Links zum Einstieg, die für mich wertvoll waren:

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