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«Rekorde helfen, Aufmerksamkeit zu erregen.»

Nadine Regel, Dienstag, 30. Mai 2023

Gelje Sherpa setzt sich durch. Mit der Beisskraft eines «Mountain Tigers», so heisst er unter seinen Kollegen, meistert er sein Leben. Vom Träger ohne Schulabschluss arbeitete er sich über Stationen als Eisfalldoktor und Aushilfsguide zu einem der gefragtesten nepalesischen Bergführer hoch, der auch eigene Projekte umsetzt. Der 30-Jährige ist eine gesetzte Grösse in der Bergsteigerszene in Nepal. Seine grössten Feinde: Zeit und Finanzierung.

Wie bist du zum Bergsteigen gekommen?

Ich bin in der Region Solukhumbu geboren, unterhalb des Ortes Lukla, dem Eintrittstor in das Khumbutal zum Mount Everest. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein Kind war. Meine drei Geschwister und ich sind bei meinem Vater aufgewachsen. Er hat als Träger an Trekkingbergen gearbeitet. Die Schule habe ich nur bis zur Grundschule besucht. Mit 14 Jahren war ich mit meinem Vater am Mera Peak, einem Sechstausender in der Khumbu-Region. Dort habe ich in der Küche ausgeholfen, weil der Koch krank war. Als sie nachts zum Gipfel aufbrachen, habe ich Chai-Tee gekocht und bin ihnen gefolgt. Als sie vom Gipfel runterkamen, haben sie sich über den Tee gefreut. Mein Vater war etwas sauer. Die Gäste gaben mir 700 Dollar. Das hat mich motiviert, auch in der Bergindustrie zu arbeiten.

 

Wie ging es dann weiter?

Mit 16 Jahren habe ich begonnen, als Träger zu arbeiten. Später habe ich die Bergführer bei ihrer Arbeit unterstützt. Dann begann ich, als Eisfalldoktor zu arbeiten, also den Weg durch den Khumbu-Eisfall zu errichten und ihn während der Saison instand zu halten. Das ist ein Teil der Route auf den Everest vom Basislager zum Lager eins. Das machte mir am Anfang Spass, doch dann merkte ich immer mehr, wie gefährlich dieser Ort ist. Ständig brechen Seracs, also Eistürme, ab und rauschen als Eislawinen hinunter. Viele meiner Kollegen sind dabei ums Leben gekommen. Deswegen war ich dann sehr froh, als ich die Chance hatte, als Bergführer an Achttausendern zu arbeiten.

 

Welcher war dein erster Achttausender?

Immer wieder fragten mich die Leute, ob ich den Everest schon bestiegen hätte. Auf dem stand ich aber erst später. Meine erste Achttausender-Expedition ging im Frühjahr 2018 zum Kangchendzönga. Wir mussten aber wegen schlechten Wetters auf 8200 Metern umdrehen. Im Herbst hatte ich dann die Chance, den Manaslu zu besteigen. Es war mein erster Achttausender. Danach folgte der Mount Everest.

 

Mittlerweile standest du auf 13 der 14 Achttausender. Nur ein Berg fehlt, um den aktuellen Rekord zu brechen: der jüngste Mensch zu sein, der auf allen Achttausendern stand. Wie schaut es damit aus?

Mir fehlt aktuell noch der Cho Oyu. Der steht teils auf nepalesischem und teils auf chinesischem Gebiet. Bisher gibt es nur eine kommerzielle Route auf der Seite in China, aber das Land hat wegen Corona schon seit 2020 keine Permits mehr ausgestellt. Wir haben es nun drei Mal von Nepal aus probiert, also vom Westen her in die Südwand des Berges einzusteigen. Aber die Bedingungen waren extrem und wir waren nicht genügend Leute.

 


Hattet ihr Unterstützung von der nepalesischen Regierung? Es sollte in ihrem Interesse sein, dass auch von Nepal aus eine kommerzielle Route auf den Cho Oyu führt.

Nein, von der Seite kam keine Unterstützung. Wir haben unser Projekt dem nepalesischen Tourismusverband vorgestellt, aber sie waren nicht interessiert. Am Ende würden sie sehr davon profitieren, sie würden über Steuern und Permits viel Geld einnehmen. Es ist schon traurig, dass wir nach Tibet gehen müssen, um einen unserer Berge zu besteigen. Die Regierung sollte uns helfen. Wir brauchen unbedingt mehr Manpower, um die 20 bis 30 Leute. Wir müssen mehr Rotationen am Berg gehen, Ausrüstung und Verpflegung nach oben tragen und die Route einrichten. Wir waren zuletzt nur etwa zehn Personen, die Arbeit da oben ist so anstrengend. Die Arbeiter müssen Gelegenheit haben, sich auszuruhen und sich mit der Arbeit abzuwechseln. Dann würden wir auch mit dem extremen Wind besser klarkommen. Aber uns fehlt Geld.

 

Wie stehst du zum Thema Nachhaltigkeit? Wie könnte eine kommerzielle Route auf den Cho Oyu von Nepal aus nachhaltig aufgebaut werden, damit nicht ähnliche Zustände wie am Everest entstehen?

Da sehe ich die Verantwortung bei der Regierung. Sie sollten stärker regulieren und an den Bergen, an denen es schon ein Müllproblem gibt, Aufräumaktionen durchführen. Der Müll muss von Trägern aus höheren Lagern vom Berg gebracht werden und später mit Helikoptern runtergeflogen werden. Wie man das Business am Cho Oyu nachhaltiger aufziehen kann, darüber habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht. Erst müssen wir die Routen etablieren.

 

Bisher schafften es nur etwas mehr als ein Dutzend Menschen von der Südseite auf den Gipfel des Cho Oyu, zuletzt standen Denis Urubko und Boris Dedeshko im Jahr 2009 oben. Der Deutsche Reinhard Karl starb hier 1982 in einer Eislawine. Du bist bereits auf 7400 Meter vorgedrungen. Wie schätzt du die Route ein – ist das Gelände für eine kommerzielle 8000er-Route?

Der Cho Oyu gilt eigentlich als der leichteste Achttausender, aber nur von der chinesischen Seite. Die Südroute ist viel technischer, es gibt steile Passagen, wir müssen Fixseile über felsiges Gelände und blankes Eis legen. Ich schätze, dass die Route etwa 50 Prozent schwieriger ist als die von China. Für Anfänger ist das nichts, eher erfahrene Bergsteiger können über diese Route aufsteigen.


Dein letzter Versuch am Cho Oyu datiert vom Januar. Mit dir unterwegs waren Kristin Harila aus Norwegen, die im vergangenen Jahr versuchte, alle 14 Achttausender in weniger als sechs Monaten zu erklimmen, und die Britin Adriana Brownlee, die die jüngste Frau werden will, die alle Achttausender bestiegen hat. Was ging schief?

Ja, wir wollten eine Winterbesteigung am Cho Oyu probieren. Das war nicht meine erste Erfahrung im Winter. 2017 und 2018 war ich im Team des spanischen Höhenbergsteigers Alex Txikon, der versuchte, den Mount Everest im Winter zu besteigen. 2019 war ich mit den anderen Nepalesen am K2 erfolgreich. Die Bedingungen im Januar am Cho Oyu waren sehr hart, wir hatten viel Wind. Wir hatten schon eine Rotation zum Lager eins unternommen und dort Ausrüstung in unseren Zelten deponiert. Leider hat der Wind unsere Daunenanzüge, Schlafsäcke, Zelte in eine Gletscherspalte gefegt. Ich seilte mich dann irgendwann in die Spalte ab, aber konnte nicht alles retten. Wir konnten auf die Schnelle leider keine neue Ausrüstung besorgen.


 

Was würde es für dich bedeuten, den Rekord von Mingma Gyabu Sherpa zu brechen, der im Alter von 30,5 Jahren alle 14 Gipfel erreicht hatte?

Das würde meiner Karriere in den Bergen einen Schub verleihen und sicher viele neue Möglichkeiten eröffnen. Für mich ist es am schwierigsten, Geld für meine Projekte aufzutreiben. Die Regierung hilft mir nicht, grosse Sponsoren habe ich nicht, ich muss kommerzielle Expeditionen führen, um Geld zu sparen. Zudem habe ich über gofundme eine Crowdfunding-Initiative gestartet, und ein paar Bergsteiger, wie zum Beispiel Nirmal Purja, unterstützen mich. Ich bin da etwas schüchtern, ich habe keine Erfahrung, wie ich Sponsoren auftreibe. Rekorde helfen aber, Aufmerksamkeit zu erregen. Falls ich den Rekord aus Zeitgründen nicht schaffe, dann möchte ich alternativ der Jüngste sein, der zweimal auf allen Achttausendergipfeln stand. Sechs Doppelgipfel fehlen mir noch. Aber noch habe ich bis Ende März Zeit, den ersten Rekord zu brechen.

 

Im Herbst 2021 führtest du die Taiwanesin Tseng Ko-Erh, die sich Grace Tseng nennt, auf den Kangchendzönga (8586 Meter). Nun wurde bekannt, dass ihr nicht am richtigen Gipfel gestanden seid. Was war da los?

Ich war vorher nur einmal am Kangchendzönga, wir schafften es damals aber nicht in den Gipfelbereich. Daher hatte ich 2021 auch keine Ahnung, wie es da oben aussieht. Das Wetter war sehr schlecht an dem Tag. Es ist ein langgezogener Grat und wir stoppten an einer Stelle, die nicht die höchste Erhebung war, wie sich später herausstellte. Das wussten wir aber nicht. Mit Adri (Adriana Brownlee, Anm. d. Red.), die ich bei ihrem Rekordversuch als Guide begleitete, ging ich im Frühling 2022 nochmal hoch. Dieses Mal waren wir am richtigen Gipfel, wir haben Beweisfotos. Grundsätzlich finde ich die Diskussion um die wahren Gipfel schwierig. Auch wenn man etwas unterhalb des höchsten Punktes ankommt, bleibt der Weg bis dahin trotzdem ein grosser Erfolg.

 

Für welche Anbieter arbeitest du?

Ich bin eine Art Freelancer und nehme Aufträge von verschiedenen Anbietern an. Aktuell bin ich viel für Seven Summit Treks im Einsatz. Adri und ich arbeiten neben unseren Achttausender-Expeditionen an einem eigenen Projekt. Wir wollen zusammen eine Trekkingagentur eröffnen. Ich habe das Know-how, wie man das in Nepal angeht, und Adri kann Sponsoren auftreiben. Expeditionen wollen wir aber nicht anbieten.

 

Was hast du dir noch für die Zukunft vorgenommen?

Ich möchte auf den Seven Summits stehen, also auf den höchsten Bergen aller Kontinente. Den Aconcagua in Südamerika habe ich schon und den Everest auch. Als Nächstes gehe ich den Denali in Nordamerika und den Kilimandscharo in Afrika an. Wichtig sind mir auch meine zwei Söhne, sie sind sechs und elf Jahre alt. Ich arbeite hart dafür, dass sie eine gute Ausbildung bekommen. Sie sollen später einmal aus Spass auf Berge steigen und nicht, um damit ihr Geld zu verdienen.  

 


Gelje Sherpa


Gelje Sherpa zählt derzeit zu den stärksten Bergsteigern Nepals. Bisher stand er auf 13 der 14 Achttausender. Noch einer fehlt, dann wäre er mit 30 Jahren der jüngste Bergsteiger, dem das bisher gelang. Acht seiner Gipfelerfolge erlangte er als Teammitglied im Projekt «14 Peaks» mit Nirmal Purja, ausserdem stand er mit neun anderen Nepalesen im Winter auf dem K2. Derzeit bereitet sich der Vater zweier Söhne darauf vor, mit dem Cho Oyu auch seinen letzten fehlenden Achttausender zu besteigen. Bis Ende März 2023 bleibt ihm für den Rekord noch Zeit.

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