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Spurlos

Alexandra Schweikart, Mittwoch, 04. Mai 2022

Eine Route selbst abzusichern, ohne Spuren zu hinterlassen: Das ist die hohe Kunst des «clean climbings», wie es die Briten nennen. Wir erklären, welche mobilen Sicherungsmittel es dazu braucht, und zeigen online, wie man diese platziert.

Yosemite Valley. Die Hand steckt tief im Riss, ein kurzer Blick genügt: gelber Cam! Mit einer Handbewegung nehme ich das kleine Wunder aus Metall vom Gurt, ziehe den Trigger und schiebe das Klemmgerät an seinen Platz. «Hält bombig», rufe ich vergnügt und klemme mich Stück für Stück höher. Doch nicht immer waren Absicherungen so raffiniert. Erste «mobile» Klemmgeräte wurden von der Natur inspiriert: Steine stürzen in Risse und verklemmen sich. Mit Schlingen umschlungen dienten sie als Zwischensicherung. Auch Maschinenmuttern wurden gefädelt und in kleinere Ritzen verklemmt. Selbst in der Küche liessen sich einige Kletterer inspirieren: In Nordwales kann man heute noch einen alten Eisentopf bewundern, der in einen breiten Riss gehämmert wurde, der Henkel wird als Zwischensicherung geklippt. Danach kamen Holzkeile und Knotenschlingen zum Einsatz, wenig später wurden Schlaghaken aus Metall mit dem Hammer in feine Risse geschlagen. Nachdem die Freikletterbewegung die Schwierigkeitsgrade in die neue Höhe trieb, wurde der Ruf nach zuverlässigen Klemmgeräten laut, die man ohne schweres Gerät und aus der Kletterposition anbringen konnte.


Die Revolution aus Metall

In den 60er-Jahren wurden die ersten vierkantigen Klemmkeile aus Vollmetall vorgestellt. Bald darauf folgten grössere, polygonale «Hexentrics» von Chouinard Equipment (heute Black Diamond) und «Cogs» der Firma Clogwyn Climbing (heute DMM), die innen hohl waren. Mit den «Rocks» landete Wild Country in den 80er-Jahren einen Erfolg. Die gewölbte Form dieser Keile hält selbst an drei Punkten im Riss. Sie ist bis heute die Standardform der meisten Klemmkeile am Markt.


Verklemmte Sache

Klemmkeile klemmen «passiv» in Rissen. Das heisst, sie besitzen keine beweglichen Elemente und halten «nur» aufgrund ihrer Form. In der Regel laufen Keile nach unten hin schmäler zu – so klemmen sie ideal in Rissen, die sich nach unten hin verjüngen. Sie haben konvexe Formen und raffinierte Einkerbungen, wodurch sie in unebenen Rissen besseren Halt finden. Gehärtetes Aluminium ist hier das Material der Wahl: Es macht die Keile leicht und stark. Durch den Kopf des Keiles wird ein Stahlkabel gefädelt, das am Ende zu einer Schlaufe gequetscht wird, in die dann eine Expressschlinge eingeklippt werden kann. Enorm wichtig ist die Beschaffenheit dieses Drahtes: Die Dicke entscheidet nämlich über die Haltekräfte des Keils. Je dünner, desto weniger Belastung halten Keile stand. Je kleiner nun der Kopf des Keiles, umso dünner muss der Draht sein, der gefädelt wird. So wird klar, warum kleine Keile generell weniger halten als grosse. Ein Balanceakt für die Hersteller: Das Kabel muss steif genug sein, um den Keil mit einer Hand tief in den Riss gefiddelt zu bekommen, und trotzdem flexibel genug, damit er sich beim Weiterklettern nicht aus der Position zieht. Die Handhabung der verschiedenen Keil-Sortimente kann man bei einem Besuch in den Bächli Filialen ausprobieren. Gut zu wissen: «Hexentrics» (Black Diamond) oder «Torque Nuts» (DMM) gehören ebenfalls zu der Produktgruppe, sind allerdings grösser als Keile und können passiv in parallelen Rissen klemmen, selbst wenn diese vereist sind. 


Cams: Die Erfindung der aktiven Absicherung

Die Absicherung paralleler Risse war Ende der 70er-Jahre vor allem in den USA und in Grossbritannien ein grosses Thema. Raumfahrtingenieur Ray Jardine erkannte das Potenzial, beendete seine Anstellung bei der NASA und ging ins Yosemite Valley, um seine Prototypen auszuprobieren. Schliesslich verkaufte er seine Erfindung an die britische Firma Wild Country. So präsentierte Wild Country Jardines revolutionäres Klemmgerät namens «Friend» im Sommer 1987. Es klemmte perfekt in parallelen Rissen, wo alle herkömmlichen Keile und die dünnen Schlaghaken keinen Halt mehr fanden. Die sogenannte aktive Absicherung war erfunden!

Über einen Kabelzug-Mechanismus werden einhändig zwei bewegliche Segmentpaare geöffnet und geschlossen. Drehfedern sorgen dafür, dass bei Belastung – etwa bei einem Sturz – sich die Segmente im Riss verspreizen und gegen den Felsen gedrückt werden (Kniehebelprinzip). Durch diesen Bedienmechanismus können unterschiedlich breite Risse mit ein- und demselben Gerät abgesichert werden.


Aufbau: eine oder zwei Achsen

Der ursprüngliche Friend hat eine Achse, an der alle Segmente befestigt sind, sowie einen starren Schaft aus Metall. Mittlerweile besitzen alle Geräte einen flexiblen Schaft aus Draht, der in der Regel mit Plastik ummantelt ist (z. B. Totem Cams, Rock Empire Comet/Flexor, DMM Dragonfly). Bei anderen Modellen sind die Federn und die Segmente auf zwei Achsen verteilt: Die linken Segmente sind an der rechten Achse befestigt und die rechten Segmente an der linken (z. B. Black Diamond Camalot, DMM Dragon Cam). Durch diese Bauweise erhöht sich die Stabilität der Geräte im Riss und der Klemmbereich (Cam Range) – und so auch der Einsatzbereich – vergrössert sich. Allerdings werden die Geräte durch die zweiachsige Bauweise etwas schwerer und der Kopf in den entsprechenden Grössen breiter.  


Klemmbereich (rot) eines Zweiachsers links und eines Einachsers rechts (orange).


Ordnung am Gurt

Idealerweise hängt jeder Cam an einem leichten Karabiner derselben Farbe am Klettergurt, z.B. grüner Cam an grünem Karabiner. So behält man den Überblick über die Grössen. Sortiert werden die Cams von klein nach gross, damit die grossen die kleinen am Gurt nicht verdecken. Zusätzliche Expressschlingen kommen ganz nach hinten, Keile dagegen ganz nach vorne – am besten an einen kurzen, ovalen Karabiner (O-Form), an dem die Drähte der Keile nebeneinander hängen. Bei einem D-Form-Karabiner hängen die Keile übereinander in der spitzen Ecke des Karabiners und können sich verhaken. Der Gurt wiederum muss mindestens vier Materialschlaufen haben, zwei auf jeder Seite. Praktisch ist ausserdem ein formstabiler Hüftgurt, damit das zusätzliche Gewicht den Gurt nicht nach unten zieht.


Und wenn ja, wie viele?

In vielen Routen in den Alpen wie am Sanetsch, Eldorado, Furka oder in den Dolomiten und Chamonix reicht meist ein Satz Cams von etwa Fingergrösse bis Faustgrösse sowie ein Satz Klemmkeile mit dazugehörigem Klemmkeilentferner, der am Gurt der nachsteigenden Person hängt. In unseren Alpen sind Routen oft mit Schlaghaken gesichert oder eingebohrt und man kann noch etwas zusätzlich legen. Möchte man allerdings in Grossbritannien klettern, braucht man einen doppelten Satz Keile und Cams plus extra kleine Keile, um die oft langen, cleanen Linien abzusichern. In reinen Rissgebieten, wie Yosesigo in Italien, Indian Creek oder Yosemite in den USA, benötigt man wiederum viele Cams derselben Grösse, da die parallelen Risse über weite Strecken dieselbe Breite haben.


Klemmkunde

Camalot, Cam oder Friend?

Da sich die erste Form des Klemmgeräts namens «Friend» von Grossbritannien über Europa verbreitete, sagt man im europäischen Sprachraum oft «Friend» zu allen aktiven Klemmgeräten. In den USA hat sich der Begriff «Camalot» für diese Produktgruppe durchgesetzt. Einig sind sich alle bei der Abkürzung «Cam», was für «camming device», also Klemmgerät, steht.


Daumenschlaufe oder verlängerbare Schlinge?

Einige Klemmgeräte besitzen Daumenschlaufen – also eine kleine Öse aus plastikummanteltem Metall, in die man sich direkt einhängen kann. Sie sind beispielsweise nützlich, wenn man technisch klettern möchte: Man klippt seine Selbstsicherung in die Daumenschlaufe des platzierten Klemmgerätes ein, setzt aus dieser Position heraus das nächste Klemmgerät möglichst hoch über sich und wiederholt das Ganze. Beim Freiklettern hingegen ist es besonders wichtig, dass der Cam an Ort und Stelle bleibt. Klug sind deswegen Klemmgeräte mit integrierter, verlängerbarer Schlinge (z. B. Wild Country Friend, DMM Dragon Cam). Die Bauweise spart Material und Gewicht. Bei Geräten ohne verlängerbare Schlinge hängt man nämlich oft eine zusätzliche Expresschlinge ein, die man natürlich am Gurt mittragen muss.


Aller Anfang ist einfach

Wer ins Selbstabsichern einsteigen möchte, fängt langsam an. Sicher am Boden stehend kann man erste Risse suchen und absichern. Wichtig ist dabei, alles einhändig zu bewerkstelligen, da beim Klettern auch nur eine freie Hand zur Verfügung steht. Danach dient eine Route mit Bohrhaken und Rissen dazu, im Toprope die Sicherungsgeräte in der Kletterposition zu legen und auszuprobieren: Beim Ablassen kann man an jeder selbst gelegten Zwischensicherung anhalten und sich mit einer Standplatzschlinge einhängen und die Sicherung nach unten belasten. Hält sie? Dann weiter zur nächsten, bis man Vertrauen in die eigene Legetechnik bekommen hat. An den Vorstieg solle man sich erst wagen, wenn die Keile und Cams wirklich sitzen. Geklettert wird dabei weit unterhalb des eigenen maximalen Könnens. So bleibt der Fokus auf der Felsstruktur und den Legemöglichkeiten.

Wie platziere ich mobile Sicherungsmittel richtig? Hier geht´s zur Legeschule: baechli-bergsport.ch/sicherungsmittel


Fotos und Illustrationen: Laura Klohn / Raywood, Timeline Productions 2 / Deuter / DMM

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