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Genuss der Vertikalen

Rabea Zühlke & Solveig Eichner, Mittwoch, 13. Juli 2022

Fester Fels, gut abgesicherte Routen und ein risikoarmer Zu- und Abstieg: Der Begriff «Plaisirklettern» wurde Anfang der 90er-Jahre vom Schweizer Bergführer Jürg von Känel geprägt. Inzwischen gibt es im ganzen Alpenraum unzählige Routen für Genusskletterer. Die wichtigsten Basics für ihre sichere Begehung gibt’s im Einmaleins.

Leicht gepackt


Neben Gurt, Helm und Kletterschuhen gehören ein Sicherungs- und Abseilgerät (Tuber), mehrere HMS- und SchraubKarabiner, mindestens ein Expresset sowie verlängerbare Expresschlingen und eine Prusikschlinge zur Standardausrüstung. Dabei zählt die Kletterausrüstung zur persönlichen Schutzausrüstung (PSA), die bestimmten Normanforderungen entsprechen muss. Eine regelmässige Überprüfung des eigenen Materials ist obligatorisch – und kann im Ernstfall Leben retten. Für den Notfall sollten sich ein Erste-Hilfe-Set sowie ein Biwaksack im Rucksack befinden – ausserdem genügend Proviant, eine warme Jacke, eine Stirnlampe und ein Handy. Nach dem Materialcheck binden sich die beiden Kletterer in die Enden der zwei 60-Meter-Halbseile mit einem Achterknoten ein. Partnercheck nicht vergessen!


TIPP: Das Topo laminieren und an den Gurt hängen. So ist die Routenbeschreibung immer griffbereit.


Die Lücke zwischen Alpin- und Sportklettern


Genuss pur: Der Begriff Plaisirklettern steht für Kletterrouten, die gut mit Bohrhaken abgesichert sind, einen moderaten Schwierigkeitsgrad aufweisen und deren objektive Gefahren als gering eingestuft werden. Trotzdem sollten die sogenannten Plaisirrouten nicht unterschätzt werden: Wetterumschwünge oder Unerfahrenheit können auch hier schnell zu Unfällen führen! So muss jede Tour sorgfältig geplant und nach dem Können des schwächsten Kletterers ausgewählt werden. Vor dem Einstieg klärt die Seilschaft zudem, ob eine Wechselführung, in der beide Kletterpartner abwechselnd vorsteigen, möglich ist – oder eine Person die permanente Führung übernimmt. Daraus ergibt sich ein unterschiedliches Seilhandling.


Richtig klippen


Die Ausrüstung passt, das Topo ist griffbereit und der Vorsteiger startklar: Los geht’s! Obwohl Plaisirrouten in der Regel gut abgesichert sind, können die Hakenabstände weiter voneinander entfernt sein als im Sportklettergarten. Geklippt wird immer aus einer möglichst stabilen Position heraus, der Schnapper der Expressschlinge sollte dabei in die entgegengesetzte Richtung der nächsten zu kletternden Meter zeigen. Zudem dürfen die Schnapper der Exen nicht auf Kanten aufliegen: Durch die Biegelast können Karabiner im schlimmsten Fall brechen. Beim Vorsteigen achtet der Kletterer auf einen möglichst gradlinigen, reibungsarmen Seilverlauf. Um die Seilreibung zu minimieren und den Seilverlauf zu verbessern, sind verlängerbare «Alpin-Exen» vor allem bei Querungen sinnvoll.


«Staaand!»



Der Standplatz ist der sichere Hafen jeder Seilschaft: Er muss jeden möglichen Sturz aushalten können. Bei klassischen Plaisirrouten mit zwei soliden Bohrhaken baut der Kletterer eine Reihenschaltung auf: Der tiefer gelegene Fixpunkt (Bohrhaken) wird allein belastet, der zweite dient als Redundanz. Die Reihenschaltung kann entweder mit dem Kletterseil oder mit einer vorbereiteten Standplatzschlinge mit weichem Auge (doppelter Bulin) aufgebaut werden. In dieses weiche Auge, den Zentralpunkt, bindet sich der Kletterer mit einer Selbstsicherungsschlinge oder einem Mastwurf ein. Erst jetzt darf das Seilkommando «Stand» erfolgen. 


Ordnung – die halbe Miete



Nachdem der Vorsteiger das Seilkommando «Stand» gegeben hat, kann ihn der Nachsteiger aus der Sicherung nehmen. Nun zieht der Vorsteiger am Standplatz das Seil ordentlich und zügig ein. Um lästigen Seilsalat am Hängestand zu vermeiden, wird das Seil in Schlaufen über die Füsse oder die Selbstsicherung aufgenommen: zuerst mit grossen Schlaufen beginnen, dann immer kleiner werden. Dadurch kann das Seil – sofern in Wechselführung geklettert wird – beim Sichern der nächsten Seillänge nicht untereinander rutschen. Ist der Stand ebenerdig, kann man das Seil auch sauber auf einen Haufen legen.


Merke: Sind mehrere Seilschaften in der näheren Umgebung, wird der Name des Seilpartners beim Kommando gerufen!


In guten Händen



Besonders wichtig ist das routinierte Sichern – hier liegt sprichwörtlich das eigene Leben in den Händen des Seilpartners. Je nach Situation wird zwischen Körper- und Fixpunktsicherung entschieden: Bei der Körpersicherung hängt der Kletterer das Sicherungsgerät in den Gurt ein, er ist damit Teil der Sicherungskette. Der Vorteil: Das Handling ist meist einfacher, zudem kann dynamisch gesichert werden. Der Nachteil: Im Falle eines Sturzes wird der Sichernde mit nach oben gerissen, was Verletzungsrisiken birgt. Bei der Fixpunktsicherung hängt das Sicherungsgerät im Zentralpunkt des Standplatzes. Im Sturzfall wirken dadurch auf den Sichernden keine Kräfte ein: Er ist kein Teil der Sicherungskette, allerdings ist das «weiche» Sichern schwieriger.


Achtung: Das Tube erzeugt nur dann ausreichende Bremskräfte, wenn das Bremsseil mit einem «Knick» aus dem Gerät läuft. Bevor die erste Zwischensicherung geklippt wird, ist daher ein Dummy-Runner im oberen Fixpunkt des Stands notwendig: Er sorgt für die nötige Umlenkung.


Sicher abseilen



Die letzte Seillänge ist geschafft, die Aussicht grossartig und die Seilschaft glücklich. Doch gerade jetzt heisst es: Konzentration! Die meisten Kletterunfälle passieren nämlich beim Abseilen. An der Abseilpiste sichern sich beide Kletterpartner mit ihrer Selbstsicherung. Nun wird ein Halbseil durch den Abseilstand gefädelt und mit einem ordentlichen, festgezogenen Sackstich mit dem anderen Halbseil verknotet. Unbedingt merken, auf welcher Seite des Abseilstandes sich der Sackstich befindet: Beim nächsten Abseilstand muss vom richtigen Strang aus das Seil abgezogen werden. Die beiden anderen Seilenden werden vor dem Auswerfen mit einem Knoten versehen.


Fokus bis zum letzten Meter



Unter dem bereits eingehängten Abseilgerät befestigt der Kletterer eine Prusikschlinge um beide Seile und am Gurt. Der mitlaufende Prusikknoten verhindert beim Abseilen einen Absturz, falls der Abseilende beispielsweise wegen eines Steinschlags ohnmächtig wird. Erst nach einer kontrollierten Belastungsübertragung von der Selbstsicherung auf das Seil darf die Selbstsicherung ausgehängt werden. Mit hüftbreiter Beinstellung wird der Abseilvorgang bis zum nächsten Abseilstand begonnen.


Fotos © Stefan Filzmoser 

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