Du hast als erst zweite Frau nach Catherine Destivelle den Paul-Preuss-Preis erhalten, Babsi. Hat dich das überrascht?
Ich hatte das nicht erwartet. Bisher wurden vor allem Bergsteiger mit diesem Preis ausgezeichnet, weniger reine Kletterer. Für mich ist das eine grosse Ehre, es hat mich sehr gefreut, auch dass wahrgenommen und anerkannt wird, in welchem Stil ich unterwegs bin. Aber dass ich jetzt schon für mein «bergsteigerisches Lebenswerk» ausgezeichnet werde, das hat mich schon überrascht.
Deine freien Begehungen, der Verzicht auf technische Aufstiegshilfen, deine Begeisterung für das traditionelle Klettern ohne Bohrhaken, das passt doch sehr gut zur Philosophie von Paul Preuss. Mit der Forderung, Mauerhaken nur zur Sicherung und nicht zur Fortbewegung zu benützen, formulierte er bereits 1911 den Ursprung des Freiklettergedankens.
Sein Credo «Das Können ist des Dürfens Mass» kann ich nachvollziehen, wenn es darum geht, dass man keine Sicherungsmittel zur Fortbewegung benützt. Aber seine Ansichten, dass man das, was man hinaufklettert, auch wieder abklettern können muss oder dass Haken nur zur Absicherung in Notfällen verwendet werden sollten, passen nicht mehr in die heutige Zeit – sonst hätte es nie diese Weiterentwicklung im Schwierigkeitsgrad gegeben. Paul Preuss hat vielleicht ein bisschen übertrieben, aber grundsätzlich finde ich seine Gedanken richtig.
Auch dass Haken nicht die «Grundlage einer Arbeitsmethode» sein sollten: Wenn es zu sehr in Richtung klettertouristische Erschliessung geht, wie beispielsweise in Tirol, wo es zum Teil Bohrhakenabstände wie in der Kletterhalle gibt, dann zerstören wir unseren Sport. Eine Klettertour ist ja gerade dann ein einschneidendes Erlebnis – und auch ein grösseres Erfolgserlebnis –, wenn sie wilder ist, wenn sie mehr Risiko beinhaltet und wenn man seinen inneren Schweinehund überwinden muss. Das gehört zum Klettern dazu.
Ein perfektes Team:
Babsi Zangerl und Jacopo
Larcher in der «Eternal
Flame» am Nameless Tower
in Pakistan. 2022 gelang beiden
im Flash die dritte freie
Begehung der von Wolfgang
Güllich und Kurt Albert
erstbegangenen Route. (Foto: Jonathan Fäth)
Also Klettern um des Abenteuers willen?
Wenn es um das Abenteuer geht, dass es bedeutet, sich im Vorstieg in unbekanntes Gelände vorzuwagen, dann ja. Früher war mir das nicht so wichtig, heute suche ich schon mehr Abenteuer. Jetzt gibt es mir viel mehr, wenn ich den ganzen Tag draussen bin, mit Zustieg, den ganzen Tag in der Wand hänge, auch in der Wand schlafe, das sind für mich die intensivsten Erlebnisse. Meinem Partner Jacopo geht es genauso. Aber wir sind keine Kamikaze. Die Touren, die wir klettern, sind nicht extrem riskant.
In der «Eternal Flame» am Nameless Tower in Pakistan war die Wand so steil, wir konnten sie gut absichern, da hätten wir die meiste Zeit ins Seil stürzen können, ohne dass etwas passiert wäre. Das Gefährlichste war der Zustieg, wegen des Steinschlags. Mir geht es nicht um den Kick: Wenn ich ohne Seil am Weg bin, fühle ich mich unwohl, ich habe das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.
Schon die «Eternal Flame» war eine Flash-Begehung, du konntest jede Seillänge im ersten Versuch klettern. Als du dann im November 2024 den «Freerider» im Yosemite geflasht hast, was zuvor noch niemandem in einer Route am El Capitan gelang, wurde das mit Lynn Hills erster freier Begehung der «Nose» verglichen. Wieder ein neuer Meilenstein durch eine Frau?
Ich hätte nie erwartet, dass die Öffentlichkeit darauf so stark reagiert. In meinen Augen ist die freie Begehung der «Nose» von Lynn Hill eine viel grössere Leistung. Als wir wieder unten im Valley waren, dachte ich mir, was haben die denn alle? Meine Mutter erfuhr es aus den Nachrichten im österreichischen Fernsehen, noch bevor ich mit ihr telefoniert hatte. In meinen Augen hatte ich einfach extremes Glück. Und Jacopo hatte extremes Pech, dass er im Boulderproblem mit dem Karate Kick stürzte – sein einziger Sturz in der ganzen Route, in 33 Seillängen. Wenn Jacopo und ich Bigwalls klettern, steigen wir normalerweise beide die schweren Seillängen vor. Im Boulderproblem war er zuerst an der Reihe – wäre es umgekehrt gewesen, wäre vielleicht ich gestürzt und er hätte als Zweiter von meinen Informationen profitieren können.
Jacopo ist im Sportklettern und im Bouldern so viel stärker als ich! Umso höher rechne ich ihm an, wie er mich im Rest der Route unterstützt hat, ohne frustriert zu sein. Es hätte genauso gut schiefgehen können – zum Beispiel im unteren Teil, im «Freeblast» mit den Reibungsplatten, da hätte ich mich fast verstiegen. Das ist dort, wo Alex Honnold bei seinem ersten Free-Solo-Versuch umgekehrt ist.
Bilderbuchverschneidung
weit über dem
Yosemite Valley: in der
«Pre-Muir Wall» am El
Capitan. Ohne Vertrauen in
die Füsse geht hier nichts. (Foto: Jacopo Larcher)
Hattet ihr die Flash-Begehung schon länger geplant?
Planen ist ehrlich gesagt nicht so meine Stärke … Auf die Idee hat uns vor Jahren ein Kollege, der ehemalige Produktdirektor von Black Diamond, gebracht. Aber uns erschien das immer unrealistisch. Unser Hauptziel im Yosemite letzten Herbst war die «Magic Line», ein 40 Meter langer Riss, der so schmal ist, dass man an den Risskanten piazen muss. Das ist mehr Wand- als Risskletterei, und traditionell abzusichern. Danach hatten wir noch Zeit und dachten, wenn wir in den «Freerider» einsteigen, dann probieren wir es flash.
Wir hatten am meisten Respekt vor dem Monster Offwidth, dem 60 Meter langen Körperriss in halber Wandhöhe. Dafür fehlte uns völlig die Technik, also übten wir erst einmal in anderen Offwidth-Routen im Tal. Das war auch der Grund, warum wir bis dahin noch nie im «Freerider» waren – es ist nicht so, dass wir ihn uns zum Flashen aufgespart hätten, sondern wir kletterten ihn nie, weil wir solche Angst vor dem Monster Offwidth hatten.
Flash-Stil
Im November 2024 gelang Babsi Zangerl als erstem Menschen eine Flash-Begehung einer Route am El Capitan. Im Sportklettern bezeichnet die Stilform Flash die Rotpunkt-Begehung einer dem Kletternden unbekannten Route, und zwar im ersten Versuch. Selbstverständlich dürfen die Haken nicht als Fortbewegungsmittel genutzt werden und die Sicherungskette darf nicht belastet werden – schon der erste kleine Sturz beendet also den Traum vom Flash. Vom Onsight unterscheidet sich die Flash-Begehung dadurch, dass der Kletternde beim Flash detaillierte Informationen über die Route besitzt. Über die sogenannte «Beta» von anderen Kletternden weiss er etwa, wo sich gute Rastpositionen befinden oder wie bestimmte Griffe gehalten werden sollten – beim Onsight ist das nicht der Fall.
Wenn man deinen Werdegang der letzten Jahre verfolgt, hast du dich immer noch mehr gesteigert, egal, ob im alpinen Sportklettern, im Trad-Klettern oder beim reinen Schwierigkeitsgrad. Wie schaffst du es, solch eine komplette Kletterin zu sein?
Diese Abwechslung ist eben ganz wichtig für meine Motivation! Aber wenn ich zurückschaue, frage ich mich schon manchmal selbst, wie das Ganze überhaupt passiert ist. Ich ging in alle meine Projekte mit relativ wenig Erwartung hinein, weil ich dachte, das ist wahrscheinlich ohnehin eine Nummer zu gross. Manchmal rede ich mir das vielleicht auch ein und denke tief drinnen trotzdem, es könnte vielleicht gehen. Keine Ahnung – ich probiere es einfach, und dann kommt es zu dem Punkt, der mir beim Klettern am meisten taugt: wenn ich merke, es könnte gehen. Dann bin ich total motiviert und für Jacopo sicher oft schwierig auszuhalten, weil ich dann nichts mehr anderes machen will.
Diese Hartnäckigkeit zeichnete dich schon früh aus – du hast mir mal erzählt, dass du als Jugendliche drei Stunden unter demselben Boulderblock sitzen konntest und versuchtest, nur allein vom Boden wegzukommen.
Ja, stur war ich schon immer. Wenn ich merke, es könnte möglich sein, bin ich total angefixt. Dann macht es mir nichts aus, hundertmal hinzufahren und es zu probieren. Bei der «Bombardino», der 9a+ in Arco, da war ich richtig fanatisch. Ich fuhr allein nach Arco, hatte keinen Kletterpartner, kletterte mit einem Südtiroler, der auch ein Projekt dort hatte und mittlerweile ein guter Freund ist. Später dann mit einer Freundin aus Bozen, die zwei-, dreimal mitkam, immer mit verschiedenen Leuten.
Mir war nur noch das wichtig; ich ging nicht mehr in die Halle, ich probierte nur noch diese Route und machte jeden zweiten Tag Ruhetag. Sonst klettere ich meistens drei, vier Tage und lege dann einen Ruhetag ein. Ich war brutal motiviert, aber ich brauchte die vielen Pausen, sonst hätte ich die Züge nicht zusammengebracht.
«Total angefixt»: Anfang Mai 2025 knackte Babsi Zangerl ihre erste Route im Schwierigkeitsgrad 9a+, die «Bombardino» in Arco. (Foto: Jacopo Larcher)
Hattest du dir zuvor zum Ziel gesetzt, eine 9a+ zu schaffen und damit wieder einen Schritt weiterzumachen, in den nächsten Schwierigkeitsgrad?
Nein, überhaupt nicht. Die Route gefiel mir. Ich war diesen Frühling in Bus de la Stria, gleich hinter Arco, im Sektor Hotel Olivo, das ist mein Lieblingsklettergarten in Arco. Da war ich bald alle Routen geklettert, die ich schnell klettern konnte, es blieb nur noch 9a+ übrig. Die «Bombardino» sah supergut aus, da dachte ich mir, ich steige einfach mal ein und bouldere sie ein bisschen aus.
Am ersten Tag kam ich nicht einmal bis zum Umlenker. Zwei Tage später dachte ich, so schnell gebe ich nicht auf. Ich kam dann bis zum Umlenker, brachte aber nicht alle Einzelzüge zusammen. Doch ich dachte mir, es sind kleine Leisten, ganz hart, um die Füsse zu stellen, das mag ich, das liegt mir. Es würde sich eigentlich lohnen, dranzubleiben und zu schauen, ob ich ein Licht sehe, ob ich die Körperpositionen halten kann. Am dritten Tag hatte ich das Gefühl, ich könnte die Züge schaffen – da war ich schon infiziert. Ich hatte keine Ahnung, wie lange das dauern würde. Aber Arco ist nicht so weit weg, und es gefällt mir dort, da wäre mir auch egal gewesen, wenn es sich über mehrere Jahre gezogen hätte.
Es waren dann aber nur zwei Monate. Kommst du immer durch Zufall zu deinen neuen Projekten?
Es muss einfach passen. Mir gefällt vor allem, wenn es alpine Routen in unserer Nähe sind. Das war bei der «Next Generation» am Zwölferkopf super, die wir dieses Jahr im Juni geklettert sind. Pio Jutz, der Erstbegeher, hatte die Route freigegeben, so konnten wir die erste Rotpunktbegehung machen. Wir starteten vor unserer Haustür mit dem E-Bike, fuhren eine halbe Stunde und stiegen noch eineinhalb Stunden ins Sarotlatal zu. Nach der Route seilten wir ab und flogen mit den Gleitschirmen zurück ins Tal. Deshalb sind wir auch oft im Rätikon, weil das so nah ist. Gerade arbeiten wir an der «Déjà» an der 7. Kirchlispitze. Sie zieht zwischen die «WoGü» und die «Unendliche Geschichte» und wurde 2019 von Fabian Buhl erstmals frei begangen. 8c+, megaschöner Fels, genau meine Kletterei. Aber jetzt geht es erst mal nach Norwegen. Dort möchten Jacopo und ich versuchen, am Jøssingfjord den Trad-Riss «Recovery Drink» von Nicolas Favresse zu wiederholen.

Babsi Zangerls zweite Heimat:
Schon manche Nacht hat sie in
den senkrechten Wänden des El
Cap im Portaledge verbracht. (Foto: Jacopo Larcher)
Wohin führt dich dein Weg? Wovon träumst du noch?
Ich würde gern mal eine Erstbegehung machen. Am liebsten im Rahmen einer Expedition, irgendwo, wo es noch viel Potenzial für coole Linien gibt. Aber ich habe noch keine konkreten Pläne, das braucht Zeit. Ich muss den Fels vor Ort sehen, und dann fixt er mich an oder eben nicht. Ansonsten: Was mir begegnet und mir gefällt, mache ich. Mir taugt mein Leben, so wie es ist. Meine Arbeit im Spital mag ich auch, und wenn ich mal nicht mehr vom Klettern leben kann, dann arbeite ich mehr im Spital.
(Foto: Andrea Cossu)
Babsi Zangerl
Barbara «Babsi» Zangerl wurde 1988 in Bludenz geboren und wuchs in Strengen am Arlberg auf. Mit vierzehn Jahren begann sie zu bouldern und meisterte 2008 mit «Pura Vida» im Averstal als erste Frau einen 8b-Boulder. Aufgrund einer Rückenverletzung sattelte sie 2009 aufs Sportklettern um, wo sie rasch die Grade 8b und 8c erreichte. 2018 gelang ihr mit «Speed intégrale» in Voralpsee die erste 9a, seit Mai 2025 hat sie mit der «Bombardino» in Arco auch eine 9a+ auf ihrer Ticklist.
Bekannt ist sie jedoch vor allem für ihre freien Begehungen alpiner Mehrseillängenrouten, oftmals als erste Frau. Was 2013 mit der Trilogie aus den drei 8b+-Routen «End of Silence», «Silbergeier» und «Des Kaisers neue Kleider» begann, setzte sie unter anderem mit der zweiten Wiederholung von «Unendliche Geschichte» (8b+) und «The Gift» (8c) im Rätikon fort. 2020 meisterte sie mit der «Odyssee» (8a+) die erste Wiederholung der schwierigsten Freikletterroute durch die Eiger-Nordwand, 2022 auf einer Expedition in den Karakorum als erste Frau die «Eternal Flame» (7c+) am Nameless Tower in Pakistan.
Seit Jahren zieht es sie regelmässig ins kalifornische Yosemite Valley, wo freie Begehungen der El-Cap-Routen «El Niño», «Zodiac» und «Magic Mushroom» zu ihren Highlights zählen – worauf sie 2019 vom amerikanischen Magazin «National Geographic» zum «Adventurer of the Year» gewählt und zur weltweit besten Allround-Kletterin erklärt wurde. Seither kamen im selben Stil «Pre-Muir Wall», «Nose» und «El Corazón» dazu. Im Herbst 2024 krönte sie ihren Palmarès mit einer Flash-Begehung des «Freerider» (7c+); vor ihr war es noch niemandem gelungen, eine Route am El Capitan im ersten Versuch sturzfrei zu klettern. Anschliessend durchstieg sie auch noch die «Golden Gate» frei.
Ihre Vielseitigkeit stellte sie unter Beweis, als sie sich 2014 mit der Begehung der «Prinzip Hoffnung» (8b) an der Bürser Platte auch dem traditionellen Klettern zuwandte, bei dem statt mit Bohrhaken mit reversiblem Material abgesichert wird. In diesem Stil konnte sie 2017 den «Gondo Crack» erstbegehen (8c). Eine weitere Steigerung erreichte sie 2023 und 2024 mit den Trad-Routen «Meltdown» und «Magic Line» im Yosemite (beide 8c+).
Die 37-Jährige lebt mit ihrem Seil- und Lebenspartner, dem italienischen Kletterer Jacopo Larcher, in Bürs bei Bludenz in Vorarlberg. Obwohl sie mit Sponsoren zusammenarbeitet, ist sie weiterhin mit einem 30-Prozent-Pensum in ihrem Beruf als Röntgenassistentin tätig – um unabhängiger zu sein und weil ihr die Arbeit im Spital die Balance gibt, «damit sich nicht das ganze Leben nur ums Klettern dreht». Zitat «Eine Klettertour ist ja gerade dann ein einschneidendes Erlebnis – und auch ein grösseres Erfolgserlebnis –, wenn sie wilder ist, wenn sie mehr Risiko beinhaltet.»
Titelbild: Highpoint Productions