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Alpinrucksäcke: Alleskönner oder Kompromisslösung?

Rabea Zühlke, Mittwoch, 14. Juli 2021

Ein Alpinrucksack begleitet uns vom Tal zum Gipfel und wieder zurück. Auf Tagestouren genauso wie auf grossen Durchquerungen. Leicht soll er sein, gleichzeitig robust und alle nötigen Features besitzen. Bächli-Einkaufsleiter Lukas Imhof weiss, wie man solch einen treuen Begleiter findet.

Klingt simpel. Doch so einfach ist es dann wieder nicht. Ein Alpinrucksack muss ein Allrounder sein: Im Sommer auf Hochtour, bei leichten Klettereien und klassischen Bergtouren, im Winter auf Skihochtouren oder beim Eisklettern. So breit wie sein Einsatzbereich sind auch die Anforderungen an einen guten Alpinrucksack.


Gewicht: Reine Formsache

Wer im alpinen Gelände unterwegs ist, spart gerne jedes überflüssige Gramm. Das betrifft nicht zuletzt das Eigengewicht des Rucksacks. Die Spannweite ist gross: Aktuelle Leichtgewichte wie der Whiteout 30 von Exped bringen nur 700 Gramm auf die Waage, während ein Klassiker wie der Guide 35+ von Deuter knapp 1600 Gramm wiegt. Die Differenz ergibt sich zum einen durch das verwendete Material, vorrangig aber durch die unterschiedliche Ausstattung. Welche Gewichtsklasse für wen die Richtige ist, kommt auf den Einsatzbereich und das Vorhaben an. «Wer mit einem einzigen Rucksack möglichst alle alpinen Unternehmungen zu jeder Saison abdecken will, greift zu einem grösseren, gut ausgestatteten und damit schwereren 40-Liter-Rucksack», sagt Imhof. «Der ist bei Mehrtagestouren ideal – und lässt sich dank Kompressionsriemen immer noch für Tagestouren verkleinern.» Während im Grenzbereich zu den minimalistischen Kletterrucksäcken (siehe Exped Whiteout 30) bisweilen darauf verzichtet wird, weisen klassische Alpinrucksäcke nach wie vor ein integriertes Gestänge auf. Dieser sorgt gerade dann für die nötige Stabilität, wenn die Hochtourenausrüstung nicht von A bis Z auf Lightweight getrimmt ist.


Durchdachte Detaillösungen: Karabiner, Expresschlingen und anderes Material können dank integrierter Materialschlaufen am Hüftgurt befestigt werden.
Schmal an der Hüfte und nach oben breiter: Die V-förmige Passform der Alpinrucksäcke sorgt für die nötige Bewegungsfreiheit.


Alles hat seinen Preis, besonders die Leichtigkeit: «Leichtgewichte haben kein gescheites Rückensystem mehr. Stattdessen haben sie eine gerade Fläche – von grossartigem Komfort spricht man da nicht mehr», erklärt der Bächli-Experte. Doch Tragekomfort wie bei einem Trekkingrucksack steht bei Alpinrucksäcken auch nicht an erster Stelle: «Je ambitionierter und schneller eine alpine Tour sein soll, desto mehr neigt der Alpinist dazu, auf Komfort zu verzichten.» Zudem hat der sogenannte Kontaktrücken auch einen grossen Vorteil: Er bringt den Lastenschwerpunkt näher zum Körper und trägt damit zum Erhalt des Gleichgewichts bei. Besonders im alpinen Gelände ist dieser Aspekt elementar, um nicht ins Schwanken zu geraten. «Es wäre gefährlich, wenn der Rucksack nach hinten gelagert wäre. Rucksack und Rucksackträger müssen eine Einheit bilden», betont Imhof. Die Lastenkontrolle ist bei Alpinrucksäcken wichtiger als der Komfort eines Netzrückens – denn schwitzen, so Imhof, wird jeder Bergsteiger.

Auch im Schnitt unterscheiden sich Alpinrucksäcke von ihren Trekking-Kollegen. Besonders Kletterpassagen erfordern viel Bewegungsfreiheit. «Alpinrucksäcke sind von hinten meist V-förmig: schmal an der Hüfte und nach oben breiter», sagt Imhof. Trekkingrucksäcke können durch ihre breite, eher A-förmige Passform – besonders im Hüftbereich – viele Kilos wegstecken und das Gewicht optimal zwischen Schultern und Hüfte verteilen.


Ausstattung: Darf es etwas Weniger sein?

Was die Features angeht: Zur Standardausrüstung gehören Seilbefestigung, Pickelhalterung sowie Helmnetz. Imhof empfiehlt jedoch, hier ganz genau hinzuschauen: «Eine Pickelbefestigung heisst nicht automatisch, dass sie für zwei Steileisgeräte funktioniert», so der Experte. «Die aggressiven Zacken der Eisgeräte sind besser in einer ‚Pickelgarage’ wie beim Deuter Guide 35+ aufgehoben als in einer blossen Pickelschlaufe.» Seitliche Kompressionsriemen sind quasi Pflicht – zur Fixierung von Ski, Stöcken, Isomatte oder Seilschlaufen. Ein weiterer Pluspunkt der Riemen: «Der Rucksack ist gut komprimierbar und man bringt den Schwerpunkt nah an den Körper», sagt Imhof. Unterschätzt ist der Nutzen eines höhenverstellbaren Deckelfachs. «Lässt sich der Deckel anheben, kann zusätzliches Material problemlos aufgeladen werden – oder man komprimiert ihn, wenn Vorräte aufgebraucht sind.» Alternativ empfiehlt sich bei halbvollem Rucksack, den Deckel im Hauptfach zu verstauen. Das verschafft mehr Bewegungsfreiheit, insbesondere mit aufgesetztem Helm. Zusätzliche Features wie Daisy Chains, eine äussere Steigeisenbefestigung oder ein zweiter Hauptfachzugang hängen vom Hersteller sowie den eigenen Vorlieben ab. «Ein einfacher Zugang von oben spart Gewicht. Aber viele Rucksäcke besitzen einen seitlichen Reissverschluss, über den man schneller an die Handschuhe oder das Getränk kommt», so Imhof. Ein gewisses Komfortplus, welches die einen nicht missen möchten, die anderen bewusst einsparen. Verschiedene Lösungen bieten Hersteller ebenso bei der Verarbeitung der Hüftflossen an. «Beim Tragen eines Klettergurtes darf der Hüftgurt des Rucksackes nicht unangenehm auftragen. Deswegen ist er oft reduziert», erklärt Imhof. Viele Hüftflossen sind sogar komplett abnehmbar. Alternativ steckt man den Hüftgurt nicht vor der Hüfte, sondern hinter dem Rucksack zusammen. Eine andere Lösung sind Hüftflossen mit integrierten Materialschlaufen.


Der Kontaktrücken bringt den Lastenschwerpunkt näher zum Körper, was besonders in anspruchsvollem Gelände wichtig ist. So gerät der Rucksack nicht ins Schwanken und der Träger bleibt im Gleichgewicht. Gurthaken aus Aluminium sind robust, langlebig und lassen sich selbst mit Handschuhen gut bedienen.


Material: Dyneema, Ripstop und Co.

Auch beim Material zählt der Kompromiss aus Leichtigkeit und Langlebigkeit. Statt der typischen Steckschnallen aus Plastik werden immer häufiger Gurthaken aus Aluminium verwendet. «Die sind nicht nur langlebiger, sondern lassen sich auch einhändig oder mit Handschuhen bedienen», weiss Imhof.  Angesichts der Anforderungen sollte ein Alpinrucksack eine solide Garnstärke aufweisen, die man an der Denierzahl ablesen kann. «Ideal wäre ein Nylon- oder Polyester-Gewebe mit 1000 Denier, aber das wäre extrem schwer», sagt Imhof. Zumindest am stark beanspruchten Boden sollte ein Alpinrucksack 600 bis 800 Denier starkes Gewebe aufweisen. Ein robuster und zugleich leichter Materialmix ist das mit Dyneema-Fasern verstärkte Polyesterstoff-Laminat, welches derzeit im Whiteout 30 von Exped verarbeitet wird. «Der Oberstoff besteht aus 150-D-Polyester, in der Mitte kommt ein Dyneema-Gelege zum Einsatz und wasserdicht wird das Material durch eine TPU-Firmlamination auf der Innenseite. Besonders die ersten beiden Schichten sorgen für eine hohe Abriebfestigkeit», sagt Exped Product Manager Marc Raillard. Auch andere Hersteller wie Mountain Hardwear oder Millet verwenden die von Bandschlingen her bekannte Dyneema-Faser, die mit geringem Gewicht und hoher Widerstandsfähigkeit überzeugt. Seit Jahren bewährt ist auch hochwertiges Nylon, insbesondere in reissfester Ripstop-Ausführung.

Ob der Alpinrucksack nun noch wasserdicht sein soll, wie es neuerdings einige Hersteller propagieren – das bezweifelt Bächli-Experte Imhof. «Die meisten Bergsteiger gehen bei stabilem Wetter los.» Und überhaupt: «Muss ich mit einem Alpinrucksack schwimmen können?», fragt Imhof. Ein Alpinrucksack kann vieles, aber nicht alles – und der beste genau so viel, wie er soll.

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