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Bergschuhe aus Leder: Robust und flexibel, aber auch umweltverträglich?

Josua Lay, Mittwoch, 01. Juni 2022

Nebst bereits guten veganen und modernen Alternativen ist Echtleder als Material eine wichtige Grösse in der Outdoorbranche. Gerade für Berg- und Wanderschuhe spielt dieses besonders robuste Material eine wichtige Rolle, da es besonders pflegeleicht und langlebig ist. Alles nachhaltige Eigenschaften, doch wie sieht es mit der Produktion dieses Material aus? Darüber haben wir mit Thomas Heinen, der die traditionsreiche Gerberei Heinen in vierter Generation leitet, gesprochen.

Was macht eine Gerberei? Was passiert bei der Lederherstellung?

Wir Gerber machen haltbar. Eine Gerbung vernetzt Hautfasern miteinander und lässt die native Haut nicht mehr verfaulen. Das war zumindest der ursprüngliche Gedanke, als sich vor tausenden von Jahren irgendwann ein Jäger gedacht hat, nachdem er das erlegte Tier gegessen hatte, die tierische Haut zum Schutz der eigenen, menschlichen Haut, einzusetzen. Irgendwann wurde das Gerben dann ein Handwerk und durch Gerber*innen immer weiterentwickelt. Heute ist Leder mit sehr vielen technischen und modischen Eigenschaften ausgestattet. Der Sinn einer Gerberei ist heute aber noch wie zu Urzeiten – wir entsorgen eine angefallene Haut und verwandeln sie in etwas Nützliches und Schönes.

Leder hat man auch schon vor 100 Jahren verwendet. Warum ist es heute noch so ein wichtiges Material in der Outdoorbranche?

Leder ist ein sehr vielseitig einsetzbares Material und daher auch, aber nicht nur, im Outdoorschuh einsetzbar. Aufgrund der natürlichen, dreidimensionalen Faserstruktur hat Leder eine einzigartige Festigkeit. Daher sind alle künstlichen Materialien auch immer sehr viel schlechter in Sachen Strapazierfähigkeit und Haltbarkeit als Leder. Kein synthetisches Material kann dieses natürliche Fasergefüge bis heute kopieren. Aber nicht nur diese hohen mechanischen Werte, die in sehr langer Lebensdauer münden, sprechen für Leder. Leder ist atmungsaktiv, nimmt Feuchtigkeit auf, ist elastisch, feuer- und bakterienresistent.

Jeder Fuss schwitzt. Diese Feuchtigkeit muss irgendwo hin. Leder nimmt sie auf und transportiert diese nach aussen. Der Fuss bleibt so trocken, warm und gesund. Jeder, der schon einmal einen Kunststoff-Sneaker getragen hat, kennt den furchtbaren Geruch dieser Schuhe. Lederschuhe riechen nicht, da sich auf der Lederoberfläche keine geruchsbildenden Bakterien anreichern.

Jeder Fuss weitet sich über den Tag hinaus aus. Je älter der Mensch, desto stärker dieser Effekt. Leder passt sich dem Fuss an und geht mit. Tagsüber weitet er sich unter anderem auch durch die Aufnahme von Schweiss. Nachts wird die Feuchtigkeit an die Umluft abgegeben und das Leder schrumpft wieder zusammen. Daher ist ein Lederschuh nach einiger Zeit an den Träger angepasst.

Von der Kuh zum Schuh – Wo kommt der Rohstoff Leder her und worauf achtet ihr beim Kauf des Rohleders?

Der Rohstoff Haut fällt bei der Schlachtung der Rinder an. Kein Tier wird für uns dabei für die Haut aufgezogen oder gar geschlachtet. Die Haut ist ein Abfallprodukt im Schlachtprozess. Aus Respekt vor dem Tier nennen wir es aber «Nebenprodukt», denn Lebewesen haben keinen Abfall. Diese Rinder werden für die Milch- und Fleischerzeugung gehalten.

Je nach Region auf der Welt sind die Rassen der Rinder unterschiedlich. Das liegt unter anderem an klimatischen Bedingungen und an regionalen Nutz- und Essgewohnheiten. Leder kann man aus allen Häuten herstellen, aber nicht jede Haut ist für jede Anwendung geeignet. Für einen eleganten Damenschuh eignet sich zum Beispiel eine Ziegenhaut, die aber für einen schweren Bergstiefel vollkommen ungeeignet wäre. Daher kaufen wir fast ausschliesslich Bullenhäute für unsere Produktion ein. Diese sind dicker und damit strapazierfähiger und für schweres Schuhwerk besser geeignet.

Nach der Schlachtung fängt unmittelbar die Verwesung der Haut an. Dieser natürliche Prozess schädigt die Haut und muss aufgehalten werden. Dazu gibt es zwei Arten: Die Salzung und die Kühlung. Die Salzung der Haut nach der Schlachtung ist eine weltweit gängige Praxis, da die Haut dadurch sehr lange haltbar ist. Das Salz gelangt aber anschliessend in den Wasserkreislauf und führt zur Aufsalzung und Ökosystemschäden unserer weltweiten Gewässer. Das ist ein Teilaspekt der grossen ökologisch-globalen Herausforderungen. Daher kaufen wir nur gekühlte Rohware. Diese Haut ist zwar nur ungefähr 10 Tage gekühlt haltbar, dafür jedoch ökologisch entscheidend besser.


Von wo bezieht ihr euer Leder?
Der Hautursprung unseres Rohstoffes ist Zentraleuropa, mit etwa 75% Deutschland, 20% Polen und 5% Dänemark. Dieser regionale Einkauf ist wichtig für unsere CO2-Bilanz. Wir versuchen, unsere Transportwege so kurz wie möglich zu halten. 

Gerne würden wir mehr Biohäute aus Tierhaltung von zertifizierten Biobauern kaufen. Diese werden gehalten, um Biomilch und dergleichen herzustellen. Dieser Anfall ist begrenzt, da nur relativ wenige Konsumenten diese Bio-Produkte nachfragen. Wir sind somit bei unserem Hauteinkauf vom Konsumenten abhängig. Wenn niemand Biomilch kauft, gibt es auch keine Biohäute. Wenn kein Fleisch mehr gegessen würde, gibt es auch kein Leder mehr. Die Bio-Häute, die wir kaufen, gehen übrigens exklusiv an die Firma Meindl in die Identity Serie.

Was sind die ökologischen Herausforderungen beim Gerben global und wo kann angesetzt werden, um den Prozess umweltverträglicher zu gestalten?

Es gibt leider sehr grosse Unterschiede zwischen ökologisch guten und schlechten Gerbern. Dabei gibt es in fast allen Regionen der Welt gute Gerber*innen. Rein fachlich ist ein sauberes und ökologisch bedenkenloses Gerben keine geheime Wissenschaft. Es kostet einfach mehr.

Das fängt beim Wasser- und Energieeinsatz an, geht über hochwertige und kontrollierte Hilfsstoffe bis hin zur Verwertung der anfallenden Nebenprodukte. Jeder Gerber und jede Gerberin, die sauber arbeiten möchte, könnte dies umsetzen.

Wo liegt die Hürde?

Das Produkt verteuert sich erheblich, weshalb es für bestimmte Preisgruppen und Artikel kaum möglich ist, ein ökologisch gutes Leder zu kaufen. Solange Billigmarken aus Kostengründen günstiges Leder kaufen müssen und solange politisch in verschiedenen Ländern eine ökologisch schlechte Lederherstellung möglich ist, solange wird es auch Gerber geben, die die Umwelt schädigen, weil es Schuhhersteller gibt, die diese Leder kaufen.

Was kann dagegen unternommen werden?

Der Schlüssel, die schlechten Gerber stillzulegen, ist für mich Transparenz. Der Konsument muss erkennen können, woher das Leder kommt und wer es gegerbt hat. Wenn der Konsument versteht, was er kauft, kann er sich bewusst für ein - in unserem Fall terracare - Leder entscheiden. Wir versuchen unsere Kundschaft davon zu überzeugen, terracare auf die Schuhe zu schreiben. Wenn es nicht dran steht, hat der Schuhhersteller zwar ein hochwertiges Leder eingekauft, der Konsument kann es aber nicht erkennen.


Ist es überhaupt möglich, 100% transparentes und umweltverträgliches Leder herzustellen?

Transparenz ist bei uns sehr wichtig und wir können daher unseren Kunden auf Wunsch einen sehr tiefen Einblick in unsere Struktur geben. Wir kommen in der Rohware zurück bis zum Landwirt, bei der Nebenprodukteverwertung bis zur endgültigen Verwertung und bei den eingesetzten Hilfsstoffen bis zum Rohmaterial. Es geht also recht weit.

Unser Ziel ist es, ein Leder zu produzieren, das komplett kompostierbar ist. Die ersten Leder dieser Serie gibt es schon. Das Material würde somit nach der Nutzung vom Erdball «verschwinden», im Gegensatz zu Plastik, das sehr viel langsamer abgebaut wird.

Beim Energiebereich streben wir an, Energieautark zu werden. Ein Teil unserer Fertigung kann man heute schon als Energieneutral betrachten, da aus dem anfallenden Nebenprodukt Energie gewonnen wird. Die komplette Produktion ist aber noch nicht Energieautark. Die eingesetzte Energie ist aber zu einem wachsenden Anteil erneuerbar.

Die eingesetzten Hilfsstoffe kommen immer mehr aus nachwachsenden Rohstoffen und immer weniger aus Erdölbasierten Quellen. Der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe wächst rapide an, da unsere Zulieferindustrie diesen Weg ebenfalls mit uns gehen will.

Ziel ist es also, ein Leder CO2-neutral aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren, das am Ende der Nutzungsdauer wieder zerfällt und kompostierbar ist. Bei allen Punkten sind wir schon mindestens zwei Drittel des Weges gegangen, bei einigen Stellen haben wir schon 100% erreicht.

Was macht eure Gerberei so einzigartig?

Aufgrund unserer geographischen Lage haben wir schon vor 50 Jahren Schritte für den Umweltschutz umsetzen müssen. Das was heute in aller Munde ist, ist sozusagen in unserer DNA – Nachhaltigkeit. Wir haben alle Schritte in der Lederherstellung systematische über die Jahrzehnte durchleuchtet und versuchen uns von Jahr zu Jahr zu verbessern. Weniger Wasserverbrauch, weniger Energieverbrauch, weniger CO2-Emissionen, bessere Verwertung von Nebenprodukten, weniger Arbeitsunfälle, saubere Chemikalien und so weiter. Eine Verbesserung klappt nicht jedes Jahr, aber die Richtung stimmt.

Alle unsere Anstrengungen fassen wir unter terracare zusammen und versuchen, dies transparent den Konsumenten zu vermitteln. Wir haben nichts zu verbergen und haben für alle unsere Kunden eine offene Türe. Unsere Aktivitäten lassen wir durch externe Institutionen regelmässig auditieren. So sind wir zertifiziert nach ökotex, LWG Gold, ECO2L, Blauer Engel, HIGG Index und noch ein paar andere Audits.

Auf welche Eigenschaften des Leders legt ihr sonst noch Wert?

Die Umweltanstrengungen und Offenheit in der Firmenpolitik gehen einher mit technisch höchst anspruchsvollen Ledertypen. Wir produzieren kein Standardleder, sondern ausschliesslich Leder, das einen technischen Anspruch hat. Das kann eine Hydrophobiering sein, eine besonders hohe Atmungsaktivität, besonders hohe mechanische Werte oder auch eine Unsichtbarkeit durch Nachtsichtgeräte. Es gibt viele Eigenschaften, die ein Leder besonders ausstatten. Dabei werden unsere technischen Leder in unterschiedlichen Segmenten verarbeitet; wie Outdoor, Militär, Feuerwehr, Motorrad, Reiten, Arbeitsschutz und für den Strassenschuh. Das Besondere ist also der technische Anspruch und die möglichst nachhaltige Produktionsmethode.

Wie wird sichergestellt, dass ihr ökologische und tierschutzrechtliche Massnahmen erfüllt?

Wir lassen alle unsere Anstrengungen extern auditieren und arbeiten mit den führenden Lieferanten in der Lieferkette zusammen, die uns ebenfalls ihre Zertifizierung vorweisen. Alles zu unserer kompletten Zufriedenheit erfüllen wir aber leider noch nicht und ich bin mir auch nicht sicher, ob wir dieses Level jemals erreichen werden. Wir arbeiten auf einem hohen Niveau und versuchen, kontinuierlich besser zu werden. Nach wie vor sprechen wir aber bewusst nicht von Nachhaltigkeit, sondern von Verantwortung. Wir produzieren verantwortungsvoll auf dem höchstmöglichen Level. Umweltfreundlich sind wir aber noch nicht, da wir Ressourcen verbrauchen. Unser Ressourcenverbrauch ist im Vergleich zu anderen Lederherstellern sehr viel geringer, aber eben nicht null.


Die Gerberei Heinen beliefert eine Vielzahl an bekannten Bergsportherstellern wie beispielsweise LOWA, Hanwag oder Meindl mit bestem Leder. Dabei steht bei dem Unternehmen nebst einer ausserordentlichen Qualität auch der ökologische Aspekt beim Gerben der Tierhäute im Fokus. Mehr Infos unter www.heinen-leather.de sowie www.terracare-leather.de.

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