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Schlafmittel

Jürg Buschor, Donnerstag, 21. Juli 2022

Der nächtlichen Erholung kommt in den Bergen besondere Bedeutung zu - das wissen alle, die schon nach durchfrorener Nacht entkräftet zur nächsten Alpintour starten mussten. Das beste «Schlafmittel» ist dabei immer noch ein passender Schlafsack. Wir erklären, worauf es ankommt.

Der Mensch ist nun mal keine Maschine», sagt Andrea Brändli, Produktmanagerin Schlafsäcke bei Bächli Bergsport, und erklärt sich gleich selber: «Das Wärme-/Kälte-Empfinden ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Zudem hängt das auch von der Situation ab. Es ist ein Unterschied, ob das Befinden schon gut ist, wenn man in den Schlafsack schlüpft, oder man ausgelaugt und unterkühlt von einer Tour zurückkommt und sich zuerst noch aufwärmen muss. Denn ein Schlafsack heizt ja nicht, sondern speichert die vorhandene, nicht zirkulierende Körperwärme und sorgt so dafür, dass der Körper warm gehalten wird.» Damit ist klar: Wer körperlich fit, nicht erschöpft und gut genährt ist, friert weniger schnell. Auch gibt es geschlechterspezifische Unterschiede – es ist wissenschaftlich belegt, dass Frauen schneller frieren als Männer. Das hängt mit dem Körperbau, der Muskelmasse und dem Körperfettanteil zusammen. «Gerade Frauen sollten deshalb im Zweifelsfall lieber zu einem wärmeren Schlafsackmodell greifen», rät Brändli. Auch gibt es bei Bächli Bergsport spezifische Damenmodelle, bei denen beispielsweise im Fuss- und Lendenbereich etwas mehr Isolationsmaterial platziert ist. Aber auch Männer sind gut beraten, sich beim Schlafsackkauf an der vom Hersteller deklarierten Komfort-Temperatur zu orientieren und Reserven einzuplanen (siehe Kastentext nebenstehend).


Langzeitbeziehung

Beim Schlafsack gilt: Eine wohl überlegte Kaufentscheidung lohnt sich. Denn wer ein für das persönliche Anforderungsprofil passendes Produkt gefunden hat und die Pflege nicht vernachlässigt, kann den Schlafsack über Jahre oder gar Jahrzehnte nutzen. Für die Beratungsgespräche nehmen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bächli Bergsport Filialen sehr gerne die Zeit.

«Grundsätzlich sind das Verhältnis von Gewicht zu Isolation, das Packmass, der geplante Einsatzzweck sowie das zur Verfügung stehende Budget die relevanten Kriterien», erklärt Schlafsackspezialistin Brändli. Und sie werden alle massgeblich beeinflusst durch die Wahl des Isolationsmaterials, für das die meisten Hersteller zu Daunen oder Kunstfasern greifen. «Wenn tiefes Gewicht, ein geringes Packmass sowie eine hohe Isolationsleistung gefordert sind, ist das Naturprodukt Daune immer noch das Mass der Dinge», weiss Andrea Brändli aus eigener Erfahrung. Das hat mit dem Aufbau von Enten- oder Gänsedaune zu tun: Von einem winzigen Kern aus geben zahllose, strahlenförmig angeordnete Verästelungen der Daune eine dauerhaft dreidimensionale Struktur, die grosse Mengen an erwärmter Luft speichern kann. Doch auch bei den Daunen gibt es Qualitätsunterschiede. Die Wertigkeit von Daunenfüllungen wird durch die Bauschkraft und das Mischungsverhältnis von Stützfedern und Daunen angegeben. Die Federn stammen meist von Enten und sorgen für Struktur und Stabilität. Das Mischverhältnis gibt Auskunft, wie hoch der Federanteil in einer Daunenfüllung ist. Die Angabe 90/10 weist beispielsweise auf einen zehnprozentigen Anteil an Federn hin. Die Qualität der Daune zeigt sich an ihrer Bauschkraft (auch Loft oder Fillpower), die in der Masseinheit «cuin» angegeben ist – die englische Abkürzung von Cubic Inch. Gemessen wird sie, in dem eine definierte Menge Daune in einen normierten Zylinder gegeben und während 24 Stunden mit einem Gewicht komprimiert wird. Nachdem das Gewicht entfernt worden ist und sich das Daunen-Feder-Gemisch während einer vorgegebenen Zeit aufgebauscht hat, wird das eingenommene Volumen im Zylinder gemessen. Je höher die cuin-Zahl, desto besser das Isolationsvermögen – 600 cuin ist ein guter Wert, 800 und mehr sind Spitzenwerte.


«Daunenfüllungen haben aber auch Nachteile», erklärt Brändli. So verliert unbehandelte Daune an Isolationskraft, wenn sie feucht oder gar nass wird. Deshalb gilt: den Schlafsack auf Tour wasserdicht verpacken und vor dem Einpacken, wenn immer möglich, gut trocknen. Seit einiger Zeit werden auch hydrophobe Daunen verwendet, das heisst, das Naturprodukt wird beispielsweise beim Mythic Ultra 360 von Hersteller Rab, beim Hyperion 20F von Therm-a-Rest oder beim Flame FmIV von Sea to Summit so behandelt, dass es wasserabweisend ist. Kunstfasern haben gegenüber Daunen den grossen Vorteil, dass sie weniger Feuchtigkeit aufnehmen und im feuchten oder nassen Zustand ihre Isolationsfähigkeit besser halten. Daher sind diese Füllungen gut für feuchte Klimata geeignet, beispielsweise auch für Nächte im feuchtkalten Schneebiwak. Kunstfaser-Schlafsäcke lassen sich auch einfacher waschen. Ausserdem sind sie in der Regel kostengünstiger.


Konstruktionssache

Das Isolationsmaterial kann noch so gut sein, erst die Konstruktion holt das Optimum aus einem Schlafsack heraus. Die besondere Herausforderung besteht in der Verarbeitung der Materialien – einerseits muss das Isolationsmaterial gleichmässig verteilt bleiben, andererseits sollte es möglichst wenig Kältebrücken geben. «Besonders gut gelöst hat das beispielsweise Hersteller Mountain Hardwear in seiner Lamina-Produktlinie. Die Kammern werden mehrlagig verschweisst statt genäht. So können Kältebrücken effizient verhindert werden», erklärt Schlafsackexpertin Brändli. Hinsichtlich Wärmeverlust verdienen weitere Details besondere Beachtung: die Konstruktion der Kapuze, des Wärmekragens, der im Schulterbereich einen Wärmeabfluss verhindert, sowie der isolierende Wulst, der den Reissverschluss auf der Schlafsackinnenseite abdeckt (ausser bei auf absolutes Leichtgewichtigkeit getrimmten Sommerschlafsäcken). Die sogenannte «Mumien-Form» ist im Outdoor- und Bergsportbereich die am häufigsten gewählte Grundform. Sie spart unnötiges Gewicht. Und je körpernaher der Schlafsack geschnitten ist, desto weniger Innenvolumen muss vom Körper aufgewärmt werden. Ein zu eng geschnittener oder zu kurzer Schlafsack schränkt allerdings den Schlafkomfort empfindlich ein. Nicht nur deshalb empfiehlt Brändli: «Kommen sie am besten zum Probeliegen in eine der zwölf Bächli Bergsport Filialen.»


Schlafsack-Norm

Die 2005 eingeführte DIN EN ISO Norm 13537 bereitete den geradezu abenteuerlichen Temperaturangaben der Schlafsackhersteller ein Ende und brachte erstmals eine Vergleichbarkeit in Sachen Isolationsvermögen. Diese Norm wurde später grundlegend überarbeitet mit dem Ziel, sie zu vereinfachen und praxisnaher zu gestalten. Die im Februar 2017 veröffentlichte DIN EN ISO 23537-1 behandelt die thermischen Anforderungen eines Schlafsacks, DIN EN ISO 23537-2 die Gewebe- und Werkstoffeigenschaften. Mittels einer beheizbaren Puppe werden im Labor Komfort-, Limit- und Extremtemperatur ermittelt. Und so sind die Temperaturangaben zu lesen:

  • Komforttemperatur (TCom): Temperatur, bei der eine «Norm-Frau» (25 Jahre, 60 kg, 160 cm) eine Nacht bequem schlafen kann.
  • Limittemperatur (TLim): Temperatur, bei der ein «Norm-Mann» (25 Jahre, 70 kg, 173 cm) eine Nacht bequem schlafen kann.
  • Extremtemperatur (TExt): Temperatur, bei der ein Schlafsack dauerhafte Schäden (Erfrierungen 2. Grades) verhindert. Kein Wohlbefinden mehr!

Die Norm ist unter Experten nicht unumstritten. Insbesondere wird kritisiert, dass das für die Praxis ebenso relevante Verhalten des Schlafsacks bei Aufnahme von Schweiss oder der Einfluss von unruhigem Schlaf im statischen Versuchsaufbau der Norm keine Berücksichtigung gefunden haben.

Nachhaltige Daune

Offiziell wird Daune als Nebenprodukt von Mastbetrieben gehandelt, meist aus Osteuropa oder China. In Verruf geriet das Füllmaterial durch inakzeptable und tierquälerische Gewinnungsmethoden, wie etwa den Lebendrupf oder die Stopfmast. Einige Hersteller arbeiten mit dem IDFL (International Down & Feather Testing Laboratory), dem weltweit grössten Prüf- und Zertifizierungsinstitut für Daune mit Europa-Sitz im Schweizerischen Frauenfeld, zusammen und lassen sich die ethisch korrekte Herkunft ihrer Daunen zertifizieren. Der Responsible Down Standard (RDS) ist ein unabhängiger, freiwilliger Standard, der weltweit gültig ist. Er gibt, genauso wie der Down Codex (der auch die gesamte Lieferkette transparent macht) oder der Traceable Down Standard, verbindliche Mindeststandards für die Gewinnung von Daunen vor.

Im Wesentlichen verbieten diese Standards die Zwangsfütterung und den Lebendrupf. Daunen haben eine gute Haltbarkeit und eignen sich deshalb aus ökologischer und ökonomischer Sicht auch für Recycling. Im Rahmen des Recyclingprozesses werden die Enten- und Gänsedaunen, die z. B. aus Bettwaren und Bekleidung stammen, gesammelt und gemäss dem Global Recycling Standard gereinigt und bei hohen Temperaturen sterilisiert. Dadurch bleiben die hervorragenden Isolationseigenschaften erhalten. Bächli Bergsport bietet nach Jahren des Gebrauchs eine Nachbefüllung mit Daunen an.

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